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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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E. Lees Träume.«
    Ich konnte beinahe das Maisfeld riechen und es in diesem ruhigen, warmen Morgendunst rascheln hören, und ich wußte, die Gewehre würden bald das Feuer eröffnen, und die Schlacht würde beginnen.
    »Ja«, sagte ich.
    Ich machte Annie etwas zu essen und ließ sie etwas Kaffee trinken. Ich fragte mich, ob ich sie herumgehenlassen sollte, damit sie nicht einschlief, wie man es bei einer Überdosis tat, aber sie hatte schon tagelang geschlafen. Ich wünschte, Broun hätte ein Medizinhandbuch von nach 1865 gehabt, damit ich die Nebenwirkungen hätte nachschlagen können.
    Das Telefon klingelte. »Das ist Richard, bestimmt«, sagte sie und ergriff wieder meine Hände. »Er wird herkommen und mich holen.«
    Der Anrufbeantworter schaltete sich ein. »Er wird nicht wissen, wo wir sind«, sagte ich. »Die Nachricht auf dem Anrufbeantworter sagt, daß Broun in Kalifornien ist. Er wird denken, ich hätte ihn begleitet.«
    »Was ist, wenn er herkommt?«
    »Wir werden nicht da sein«, sagte ich. »Ich muß nach Fredericksburg, um ein paar Nachforschungen für Broun anzustellen. Du kannst mich begleiten. Er wird keine Ahnung haben, wo wir hingefahren sind.«
    Annie war eingeschlafen, bevor ich den Satz beendet hatte, immer noch ihre Hände um meine gelegt, den Kopf leicht gegen die Lehne des Clubsessels geneigt, ihre Wangen so rosig wie die eines Kindes. Ich löste meine Hände aus ihren und ging eine Decke aus meinem Zimmer holen, und dann, endlich hellwach, packte ich eine Tasche, brachte meine und Annies Sachen ins Auto und kehrte anschließend ins Arbeitszimmer zurück und las Druckfahnen.
    Richard rief während der nächsten drei Stunden alle zehn Minuten an und hörte dann auf, und ich löschte alle Lampen im Studierzimmer und ging nach unten, um nachzusehen, ob alle Türen verschlossen waren. Ich ging in den dunklen Wintergarten und stellte mich ans Fenster, sah zu, wie Richard vorfuhr und auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte, und dachte daran, wie der Bürgerkrieg begonnen hatte.
    Lincoln hatte Lee den Oberbefehl über die Unionsarmee angeboten, doch er konnte ihn nicht annehmen. Auch wenn er die Sezession ablehnte, war ihm der Gedanke an Krieg zu verhaßt. »Ich war unfähig, mich zu entschließen, meine Hand gegen meine Verwandten, meine Kinder, meine Heimat zu erheben«, schrieb er seiner Schwester. »Ich weiß, du wirst mich dafür tadeln; aber du mußt so gut von mir denken, wie du nur kannst, und glauben, daß ich bestrebt war, das zu tun, was ich für richtig hielt.«
    »Ich konnte keinen anderen Weg einschlagen, ohne unehrenhaft zu handeln«, schrieb er nach dem Krieg, nachdem er zweihundertfünfzigtausend seiner eigenen Männer umgebracht hatte; und Lincoln, dieser andere mit Massenmord betraute gute Mensch, hatte gesagt: »Wir wollen darauf vertrauen, daß Recht Stärke bewirkt, und in diesem Glauben wollen wir unsere Pflicht tun, so wie wir sie verstehen.«
    Unsere Pflicht, so wie wir sie verstehen. »Ich mußte es tun«, hatte Richard gesagt und hatte mit einer Patientin geschlafen, hatte ihr ohne ihr Wissen gefährliche Medikamente gegeben, und ich hatte versprochen, mich um sie zu kümmern, also konnte ich ihm das nicht durchgehen lassen, selbst wenn er mein alter Stubenkamerad war. »Er hat sich einfach eines Tages gemeldet«, hatte Brouns Romanfigur Ben gesagt, »und ich spürte, daß ich dasselbe tun mußte.« Und jetzt waren wir auf einmal Feinde.
    Um sieben ging ich nach oben und weckte Annie. Ich rief die Nachbarin an und sagte ihr, daß ich mich doch noch entschlossen hätte, Broun nach Kalifornien zu begleiten, und bat sie, auf die Katze aufzupassen, ich würde ihr Futter neben die Tür stellen, damit sie es zusammen mit der Katze holen konnte, wann immer sie wollte.
    Dann sagte ich: »Und würden Sie der Polizei mitteilen, daß wir verreist sind? Broun kümmert sich im allgemeinen nicht um solche Sachen, aber gegenüber auf der Straße parkt ein Wagen, und seitdem ich Broun gestern abend zum Flughafen gebracht habe, sitzt ein Mann darin. Ich kann nicht erkennen, ob er das Haus beobachtet oder nicht, und vielleicht bin ich verrückt zu glauben, es bedeute etwas. Aber Broun besitzt eine Menge Erstausgaben.«
    Als der Streifenwagen neben Richard hielt, brachte ich Annie durch die Hintertür zur Garage hinaus, und wir flohen nach Süden, ins Land der Träume.

 
6
     
Traveller war das ideale Pferd für Lee. Er vertrug das schlechte Wetter und den ausgedörrten Mais, und

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