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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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aufgeschlagen schlief ich ein und schlief bis zum frühen Nachmittag, und obwohl der Schlaf nicht vor Mitternacht zu mir gekommen war, war er immer noch Gold wert. Ich fühlte mich besser denn je seit meiner Reise nach West Virginia und in der Lage, zum erstenmal klar über dieses ganze Chaos nachzudenken. Ich hatte Annie versprochen, ihr dabei zu helfen, die Träume zu träumen. Es gab nur eine Möglichkeit, das zu tun, und die bestand darin, herauszufinden, woher sie kamen.
    Ich sah nach Annie. Sie schlief noch immer. Ich rasierte mich und kleidete mich an, nahm ein Blatt Schreibpapier mit dem Kopf des Fredericksburg Inns aus der Kommode und begann, eine Liste der Träume zu machen. Zuerst Arlington und dann Antietam, Fredericksburg, Chancellorsville. Die Lees hatten Arlington im Mai 1861 verlassen. Ich war mir nicht sicher, von wann der Brief von Markie Williams datierte, in dem stand, was mit Tom Tita, der Katze, passiert war, aber es mußte irgendwann im Jahre 1861 gewesen sein. Antietam war im September 1862, Fredericksburg im Dezember des gleichen Jahres und Chancellorsville Mai 1863. Das bedeutete, daß die Träume chronologisch geordnet waren, wenn auch irgendwie komprimiert. Annie hatte beinahe ein Jahr des Krieges innerhalb einer Woche geträumt, obwohl sie von Arlington mehr als ein Jahr lang geträumt hatte, wobei der Traum nur allmählich deutlicher geworden war. Und es hatte während dieses Zeitraums bedeutende Schlachten gegeben, von denen Annie überhaupt nicht geträumt hatte.
    Ich begann auf einem anderen Blatt Papier mit einer neuen Liste und schrieb das Datum der Träume in eine Spalte und die Medikamente, die sie während dieser Zeit genommen hatte, in die zweite. Die Medikamente standen in irgendeiner Beziehung zu den Träumen, wenn ich auch nicht wußte, in welcher. Sie hatten den REM-Schlaf nicht unterdrückt oder sie generell vom Träumen abgehalten, auch wenn sie es eigentlich hätten tun sollen.
    Als Annie das Elavil eingenommen hatte, waren ihre Träume auf einmal klarer geworden, und das Phenobarbital, das ihr Hausarzt ihr verschrieben hatte, hatte sich offensichtlich als vollkommen wirkungslos erwiesen. Thorazin hatte die Träume unterdrückt, aber sie hatte nicht das Traumgewitter erlebt, das Dr. Stone für den Fall des Absetzens vorausgesagt hatte. Keiner der Träume schien in einer besonderen Wechselbeziehung mit den Medikamenten zu stehen, die sie genommen oder nicht genommen hatte, also gab es vielleicht überhaupt keine Verbindung, und das Timing der Träume hatte mehr damit zu tun, wann Lee zu ein paar Stunden Schlaf gekommen war, als mit den Tranquilizern.
    Annie war wach. Ich hörte sie herumgehen. Ich faltete die Listen und steckte sie in die Tasche meiner Jeans. Ich klopfte an der halboffenen Tür, und sie öffnete sie sofort ganz.
    »Bist du die ganze Zeit über aufgewesen?« sagte sie und blickte auf ihre Uhr. Sie sah müde aus, trotz des langen Schlafs. »Ich konnte es nicht glauben, als ich gesehen habe, wie spät es ist.«
    »Ich schon. Ich bin mit einem Mordshunger aufgewacht. Es ist schon gut, daß man im Coffeeshop den ganzen Tag über Frühstück bekommt. Was hältst du davon, wenn wir mal rübergehen?« Ich zog meinen Mantel an. »Ich will heute nachmittag zur Bibliothek. Ich glaube, ich komme langsam dahinter, woher die Träume kommen.«
    Ich erzählte ihr beim Frühstück von Lees Schlaflosigkeit, und dann gingen wir zur Bücherei hinüber. Ich kaufte unterwegs im Gemischtwarenladen ein Notizbuch. »Ich sollte mich vielleicht auch ein bißchen um Lincolns Träume kümmern, für den Fall, daß der Tierarzt nichts herausbekommt«, sagte ich.
    »Ich werde das für dich machen«, sagte Annie. »Was willst du wissen?«
    »Alles über Akromegalie, was nicht im Index stehen dürfte, weil keiner wußte, was er hatte. Alle Verweise darauf, daß er Kopfschmerzen oder Depressionen hatte. Und alles, was du über Willies Tod finden kannst.«
    »Willie. Das war sein Sohn, der während des Kriegs gestorben ist?« fragte sie.
    Ich nickte. »Ja. Er war Lincolns Lieblingskind. Lincoln konnte es kaum verwinden, als er starb.«
    Wir betraten die Bücherei und sahen uns nach den Biographien um. Ich hatte der Bücherei zwei Tage zuvor, als ich hierher gekommen war, um mich über Thorazin zu informieren, nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, mir war nur aufgefallen, daß sie früher einmal eine Schule gewesen war, eines dieser quadratischen dreistöckigen Gebäude, wie man sie im frühen

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