Lincolns Träume
daß ich ein paar Fotos von der Gegend um Antietam machte, aber er war überzeugt davon, daß ich mich verfahren würde, deshalb begleitete er mich und bugsierte uns beide mitten in ein Schlammloch hinein. Wir mußten aussteigen und einen Abschleppwagen holen. Nicht einmal das wollte er mich allein tun lassen. Und so war es das ganze erste Jahr hindurch, das ich für ihn gearbeitet habe.«
»Daß er dich nichts machen ließ?« sagte Annie. »Warum nicht?«
»Keine Ahnung. Er hatte vorher noch nie einen Assistenten gehabt, und ich glaube, er war daran gewöhnt, alles allein zu erledigen. Er fing gerade an, Die Bürde der Pflicht zu schreiben, und es mußte jede Menge über Antietam recherchiert werden, aber er bestand darauf, alles allein zu machen, besonders alles, was das Schlachtfeld betraf. Ich dachte, wenn wir dort hinkämen, würde er mir wenigstens die Laufereien überlassen, aber nein. Er latschte auf dem Schlachtfeld herum, machte sich wie wahnsinnig Notizen, schoß Fotos und legte sich flach auf den Rücken, um, wie er sagte, alles ›aus der Perspektive des Soldaten‹ zu betrachten…«
Ich brach ab und warf Annie einen besorgten Blick zu, aber sie betrachtete, immer noch lächelnd, die Landschaft. Ihr blondes Haar wehte im Fahrtwind, und sie strich es sich aus dem Gesicht.
»Er schnitt sich beim Durchwaten des Antietam Creek in den Fuß«, fuhr ich fort. »Mit dem Deckel einer alten Konservenbüchse. Er blutete wie verrückt, sein Fuß, meine ich. Er mußte sich eine Tetanusspritze geben lassen und wurde mit zwölf Stichen genäht, aber er wollte mir die Arbeit immer noch nicht überlassen.«
Hinter Remington verband sich der zweispurige Highway mit dem Bundeshighway nach Culpepper. Ich raste weiter nach Süden.
»Und also macht er weiter, humpelt herum, versucht, die Dinge in der Hand zu behalten…«
»So wie Longstreet«, sagte Annie.
»… und kündigt an, daß er nach Springfield fahren wird. Seine Verleger hatten angerufen, und sie wollen, daß er das Motto überprüft, das er seinem letzten Buch vorangestellt hat, also fährt er die ganze Strecke nach Springfield, um nachzusehen, was auf Lincolns Grab geschrieben steht oder irgend so eine Verrücktheit, und da explodierte ich. ›Wofür, zum Teufel, haben Sie mich eigentlich angestellt?‹ sagte ich. ›Sie lassen mich nicht das mindeste tun, ich darf mir nicht einmal ein paar verdammte Leichen ansehen.‹«
Oh, Richard hätte seine helle Freude an dieser Unterhaltung gehabt. »Das sind ganz offensichtlich Freudsche Versprecher«, hätte er mit seiner Onkel-Doktor-Stimme gesagt. »Hier meldet sich das Unbewußte zu Wort und schneidet Themen an, die das Bewußtsein zu meiden sucht.«
»Und ließ er dich dann an seiner Stelle nach Springfield fahren?« fragte Annie, als habe sie den Ausrutscher nicht bemerkt, ob Freudsche Fehlleistung oder was auch immer. Sie hatte sich meinen Rat zu Herzen genommen. Sie war dabei, sich zu entspannen und abzulenken, wenn ich dazu auch nicht fähig zu sein schien.
»Er ließ mich nach Springfield fahren, aber er rief mich während der Fahrt fortwährend über Autotelefon an und erinnerte mich daran, dies zu beachten und mich nach jenem zu erkundigen. Er hinterließ mir Nachrichten im Motel und ließ mich allabendlich anrufen und meine Notizen auf seinen dämlichen Anrufbeantworter sprechen. Er machte mich fast wahnsinnig. Ich weiß nicht, was dann passiert ist. Vielleicht war ihm aufgegangen, daß er keinen inkompetenten Idioten engagiert hatte. Er hörte auf, mir auf die Nerven zu gehen, und ließ mich die Recherchen machen, die er mir aufgetragen hatte, und von da an ließ er mich das tun, wofür er mich angestellt hatte, nämlich ihm helfen.«
Erst als ich ans Ende dieser lehrreichen kleinen Geschichte gelangt war, wußte ich, daß es genau darum ging. Mein Unbewußtes meldete sich zu Wort, nun gut, es hämmerte gegen die Tür, um herausgelassen zu werden. »Er erledigt immer noch einen großen Teil der Recherchen selbst«, sagte ich, wie um mich selbst davon zu überzeugen, daß ich Annie eben keine Vorlesung darüber gehalten hatte, sie sollte sich mir anvertrauen und mich ihr helfen lassen. Bei mir bist du bestens aufgehoben.
»Vielleicht fiel es ihm deswegen so schwer, das Recherchieren aufzugeben, weil er es so liebte«, sagte Annie.
»Vielleicht«, sagte ich und dachte daran, wie erregt er sich wegen Lincolns Träumen angehört hatte. »Jedenfalls liebt er Lincoln.«
»Und du
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