Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
Vom Netzwerk:
durchgesehen. Es stand nichts davon drin, daß er Träume hatte. Dad hatte jedenfalls dieses eine Buch über Träume und was die Ägypter aus ihnen herauslasen. Es war ganz schön interessant. Sie glaubten, die Träume seien Botschaften der Götter oder der Toten.«
    »Botschaften?« sagte Annie. »Was für Botschaften?«
    »Alle möglichen. Ratschläge, Warnungen, Segnungen. Die Götter konnten einem sagen, wen man heiraten würde, ob man eine Reise unternehmen sollte, ob man eine Krankheit bekommen würde, und welche. Wenn man Fieber bekommen würde, träumte man von etwas Bestimmtem, und wenn man sich erkälten würde, von etwas anderem. Sie hatten das alles in diesem Buch der Träume aufgeschrieben, die Bedeutungen von alldem.«
    Die Frau des Veterinärs kam an die Tür, um ihm zu sagen, daß er am Telefon verlangt wurde.
    »Ich rufe Sie an, wenn Sie von dem Kongreß zurück sind«, sagte ich.
    »Geht es dem Pferd besser?« fragte Annie. »Es hat keinen Wundstarrkrampf bekommen, nicht wahr?«
    »Welches Pferd? Ach, die Stute, die neulich hiergewesen ist? Ihr geht’s gut. Eine Quetschung, genau wie ich mir dachte.«
    »Schön«, sagte Annie. »Das freut mich.«
    Bis zur ersten Gabelung fuhr ich den gleichen Weg in die Stadt zurück, den wir gekommen waren, dann nahm ich die Abzweigung nach links. Annie schien es nicht zu bemerken. Sie hatte ihr Fenster halb heruntergekurbelt und saß zurückgelehnt, mit dem Kopf gegen den Sitz. Der Fahrtwind spielte mit ihrem Haar. Ihr Gesicht hatte den gleichen ernsten, beinahe wehmütigen Ausdruck wie in der Bücherei.
    Diese Straße war nicht so hübsch wie die, die wir zum Tierarzt hinaus gefahren waren. An ihren Rändern lag die Trostlosigkeit, die alle Städte in ihren Außenbezirken haben; Lagerhäuser, Autofriedhöfe, alte Wohnwagen mit Veranden und Hundehütten und einem an der Rückseite angebundenen Pferd.
    »Es ist wundervoll hier draußen, findest du nicht?« sagte ich nur, um etwas zu sagen, irgend etwas, das sie von dem Schlachtfeld ablenkte, an das sie gerade dachte, welches es auch gerade sein mochte. »Die Serviererin meinte, es nähere sich eine Kaltfront, aber davon sehe ich nichts.«
    Ich bog wieder ab, diesmal nach Süden, und stieß genau auf den Highway.
    »Ist das die Straße, über die wir hergekommen sind?« fragte Annie, als die sechsspurige Straße vor uns auftauchte.
    »Ich dachte, zurück fahren wir über eine landschaftlich reizvolle Straße«, sagte ich, ignorierte das I-95-Schild [iii] und bog auf die US 1 ein. »Ich habe heute morgen die Katze gesehen. Sie saß vor dem Coffeeshop. Ich glaube, sie hat auf dich gewartet. Hast du sie gefüttert?«
    »Ich hab ihr heute morgen eins dieser kleinen Sahnetöpfchen gegeben«, sagte sie. »Und ein bißchen Speck. Sie sah hungrig aus.«
    »Alle Katze sehen hungrig aus«, sagte ich, während ich nach Straßenschildern Ausschau hielt. Ich wollte nicht nach Westen abbiegen, ehe wir an Spotsylvania vorbei waren. »Du siehst, du hast den Kater jetzt ein Leben lang am Hals. Oder wenigstens so lange, bis jemand Besserer vorbeikommt. Er würde dich sofort für jemanden mit einer Sardine im Stich lassen.«
    »Im Stich lassen«, sagte sie und sah aus dem Fenster. Wir fuhren an einem Feld mit einer Heumiete vorbei. »Man hat Fahnenflüchtige erschossen, nicht wahr? Im Krieg.«
    Und da waren wir also wieder, mitten in einem Krieg, den sie nicht einmal mehr den Bürgerkrieg nannte, weil er ihr so vertraut geworden war und weil sie jede Nacht seine Schlachten kämpfte.
    »Nicht immer«, sagte ich. »Viele Deserteure kamen ungeschoren davon und gingen nach Kalifornien. Wo wir gerade von Kalifornien sprechen, Broun ist nach San Diego runtergeflogen und wird also noch ein paar Tage in Kalifornien bleiben, und der Tierarzt wird vor Montag keine Neuigkeiten für uns haben. Warum fahren wir am Nachmittag nicht nach Shenandoah rüber? Sehen uns die Blue-Ridge-Berge an? Es soll dort in Luray großartige Brathähnchen geben, wäre doch eine nette Abwechslung vom Coffeeshop. Es besteht wirklich kein Grund, dauernd in Fredericksburg rumzuhängen.«
    Wir waren im Begriff, wieder auf die Interstate zu stoßen, falls wir noch weiter nach Norden gerieten. Ich bog an der nächsten Straße nach links ab. Es war der Highway 208. Die Straße nach Spotsylvania. Ich bog nach Norden auf einen Schotterweg ein, bog noch weitere dreimal ab, nach Norden und Westen, wobei ich versuchte, so weit wie möglich von Fredericksburg wegzukommen.
    »Was

Weitere Kostenlose Bücher