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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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auch.«
    »Yeah.«
    »Ich bin zu dem Empfang mitgekommen, weil ich Broun kennenlernen wollte«, sagte sie. »Ich habe Richard dazu veranlaßt hinzugehen. Ich wußte, daß Broun alles über den Bürgerkrieg wußte. Ich dachte, er könnte mir vielleicht sagen, was die Träume bedeuten.«
    »Nur wollte Richard ihn nicht in deine Nähe lassen, und dann hattest du mich am Hals.«
    »Nein«, sagte sie und lächelte mich an, so wie sie mich an jenem Abend im Wintergarten angelächelt hatte, lieb und traurig. »Du bist es, der mich am Hals hat.«
    »Also haben wir uns gegenseitig am Hals«, sagte ich leichthin. »Und Lee noch dazu. Aber heute nicht. Heute machen wir Urlaub. Hast du Hunger?«
    »Ein bißchen.«
    »Wir halten zum Mittagessen in der nächsten Stadt, an der wir vorbeikommen. Wir sind gerade an Remington vorbeigefahren. Im Handschuhfach ist eine Karte. Du kannst ja mal nachsehen, welche Stadt als nächste kommt…«
    »Halt an«, sagte Annie. Sie hatte beide Hände auf den Rand ihres halbgeöffneten Fensters gelegt und schaute zu der Stelle zurück, an der wir gerade vorbeigefahren waren. »Halt an!«
    Sie war aus dem Wagen, ehe ich auch nur ganz von der Straße herunter war. Sie packte den Türgriff, war aus dem Wagen und rannte zur Fahrbahn.
    »Annie!« rief ich, öffnete hastig die Tür und eilte ihr nach.
    Sie stand am Straßenrand und schaute nichts Spezielles an, einen Holzzaun und ein gepflügtes Feld, in der Ferne ein Haus mit einer breiten Veranda. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt und preßte sie gegen die Rippen. »Wo sind wir hier?« wollte sie wissen. »Ich kenne diesen Ort.«
    Verdammt, verdammt. Ich hatte gedacht, wir würden uns auf dieser Strecke in Sicherheit befinden, weit weg von Chancellorsville und Spotsylvania und Wilderness. Ich war mit ihr diese Strecke gefahren, weil ich dachte, daß sie hier sicher wäre.
    »Hast du davon geträumt?« sagte ich und hatte Angst vor der Antwort.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich habe das Gefühl, daß ich hier schon einmal war. Wo sind wir?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Wir sind gerade durch Remington gefahren.« Ich öffnete die Wagentür, um die Karte herauszuholen. Der Motor lief noch. Ich schaltete ihn aus. Culpepper konnte es nicht sein. Ich hatte in Remington ein Schild nach Culpepper gesehen. Wir befanden uns mindestens zehn Meilen weiter östlich. Ich holte die Karte aus dem Handschuhfach, schlug sie auf und überflog sie, ohne jedoch Remington finden zu können.
    Wir befanden uns nur wenige Meilen hinter Remington. Die nächste Stadt… Die nächste Stadt war Brandy Station, zwei Meilen weiter. Wir waren nördlich von Brandy Station. Auf der Karte war kein Symbol für eine Sehenswürdigkeit in der Nähe, auch kein Kreuz, obwohl eins hätte da sein müssen. Der ganze verdammte Bundesstaat war ein einziger Friedhof. Dieses gepflügte Feld war möglicherweise voller blondhaariger Jungen und ergrauter Veteranen und Pferde.
    »Ich fühle, daß ich früher schon einmal hier war«, sagte sie und überquerte die Straße. Sie schaute in keine der beiden Richtungen, und ich war mir nicht sicher, ob die Straße für sie überhaupt existierte. Ein blauer Wagen schoß um die Kurve und zwischen uns hindurch. Er verfehlte Annie nur um Zentimeter und hob im Vorbeisausen mit dem Fahrtwind ihren Rock hoch. Sie sprang weder erschreckt zur Seite, noch wich sie ihm sonstwie aus. Sie bemerkte ihn überhaupt nicht.
    Ich rannte ihr über die Straße nach. »Es ist Brandy Station«, sagte ich. »In der Nähe hat Kavallerie gekämpft. Lees Sohn Rooney wurde dabei verwundet. Lee sah, wie er vom Schlachtfeld getragen wurde. Es tut mir leid.« Ich nahm sie beim Arm. »Ich hätte dich nicht hierher bringen sollen. Laß uns zum Wagen zurückgehen und machen, daß wir hier wegkommen.«
    Sie rührte sich nicht. Sie widersetzte sich mir auch nicht. Sie blieb einfach stehen, stocksteif, mitten auf der Straße. »Ist er gestorben?« sagte sie.
    »Rooney? Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Es war eine Beinverletzung.« Ich griff nach ihrem Arm. »Wir können es herausfinden, wenn wir nach Luray kommen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich will nach Fredericksburg zurück.«
    »Warum? Es gibt bestimmt eine Bibliothek in Luray. Wir können Rooney dort nachschlagen. Er ist nicht gestorben. Er war bei der Beerdigung seines Vaters.«
    Annie starrte zu dem gepflügten Feld hinüber, als könnte sie alles sehen, Rooney auf einer Trage, sein aufgerissenes Bein, den

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