Linda, H: Winterherzen: Für morgen, für immer
körperlich nicht an ihr interessiert war. Er hatte sie nicht mehr geküsst seit jenem flüchtigen Kuss am Montagabend, der ein prickelndes Verlangen und die Bereitschaft in ihr erweckt hatte, sich ihm an den Hals zu werfen. Genau wie alle anderen Frauen. Nur mit Mühe war es ihr gelungen, zurückzuweichen und ihre Reaktion zu unterdrücken. In jener Nacht hatte sie sich in den Schlaf geweint – in der festen Überzeugung, dass sie sich zum Narren gemacht hatte und Max nie wieder sehen würde. Doch am folgenden Tag hatte er angerufen, wie versprochen. Vielleicht hatte sie ihre Gefühle so geschickt verborgen, dass er nichts ahnte.
Es schien Claire unglaublich, dass sie sich erst vor einer Woche zum ersten Mal begegnet waren. Sie hatten sich jeden Tag gesehen, gewöhnlich sogar zweimal, zum Mittagessen und nach Feierabend. Manchmal schien es ihr, dass sie ihn besser kannte als jeden anderenMenschen zuvor, einschließlich Jeff. Und dann wiederum wirkte er wie ein völlig Fremder. Wenn sie ihn unvermittelt anblickte, erhaschte sie gelegentlich einen seltsamen, undeutbaren Ausdruck in seinen Augen.
Das Klingeln des Weckers riss Claire aus ihren Überlegungen. Welch unangenehme Art, einen Tag zu beginnen, dachte sie und erwog, Max gar nichts von der Party zu erzählen. Sie konnte allein hinfahren, so lange bleiben, wie es die Höflichkeit gebot, und dann Müdigkeit vorschützen und nach Hause gehen. Damit wäre Alma zufrieden. Doch es bedeutete einen ganzen Abend ohne Max, und diese Vorstellung erweckte ein Gefühl der Leere in ihr.
Hastig, bevor sie es sich anders überlegen konnte, setzte sie sich im Bett auf, griff zum Telefon und wählte seine Nummer. Es klingelte nur zweimal, bevor er sich ein wenig verschlafen meldete. Ihr Herz schlug schneller, wie gewöhnlich, wenn sie seine Stimme hörte. „Hier ist Claire. Es tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.“
„Mir tut’s nicht leid.“ Er gähnte. „Ich wollte dich sowieso anrufen. Ist irgendwas passiert?“
„Nein. Meine Mutter hat nur gerade angerufen. Sie gibt heute Abend eine Cocktail-Party und besteht darauf, dass ich teilnehme.“
„Bin ich eingeladen?“, fragte er mit diesem ausgeprägten Selbstvertrauen, das sie so oft verwunderte. Er schien zu wissen, dass sie ihn unbedingt mitbringen sollte, es ihr aber schwerfiel, ihn zu fragen.
„Hast du nichts dagegen?“
„Ich mag deine Familie. Warum sollte ich also etwas dagegen haben?“
„Die Leute reden über uns.“
„Mir ist völlig egal, was die Leute sagen.“ Max gähnte erneut. „Wann fängt die Party an?“
„Um sieben.“
„Natürlich. Alles fängt um sieben an. Ich habe heute außerhalb der Stadt zu tun, und es wird ein bisschen knapp mit der Zeit, wenn ich erst zu meiner Wohnung, dann zu deiner und schließlichzum Haus deiner Eltern fahre. Würde es dich sehr stören, wenn ich mich einfach bei dir dusche und umziehe? Dadurch könnte ich fast eine Stunde Fahrtzeit sparen.“
Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus vor Aufregung. „Nein, es stört mich nicht“, brachte sie hervor. „Es ist eine gute Idee. Wann wirst du hier sein?“
„So gegen sechs. Passt dir das?“
„Ja, natürlich.“ Sie würde sich beeilen müssen, aber es war zu schaffen. Gewöhnlich brauchte sie nicht lange, um sich zurechtzumachen, und sie konnte ihre Haare waschen, bevor sie zur Arbeit ging.
„Dann bis heute Abend.“
Es wurde ein schrecklich hektischer Tag für Claire. Sosehr sie sich auch beeilte, schien sie stets einen Schritt zurückzuliegen, und selbst bei Routinearbeiten ergaben sich ungewöhnliche Komplikationen. Teilweise bestand ihre Aufgabe darin, Sam vor unnötigen Störungen zu schützen, was bedeutete, dass sie die betreffenden Angelegenheiten selbst erledigen musste. Sie arbeitete die Mittagspause durch und versuchte dabei nicht an Max zu denken und sich nicht zu wünschen, bei ihm zu sein, wo immer er sich gerade aufhalten mochte.
Am späten Nachmittag kam per Eilbote der angeforderte Schätzungsbericht für das Grundstück. Ein Lächeln breitete sich auf Sams Gesicht aus, während er ihn las. Mit äußerst zufriedener Miene warf er ihn auf den Schreibtisch, lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
„Sogar besser, als ich gehofft habe“, erklärte er Claire. „Die Grundstückswerte haben sich im vergangenen Jahr vervierfacht. Wir sind in Sicherheit. Und ich habe schon Blut und Wasser geschwitzt. In unsere Aktien ist Bewegung geraten,
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