Linda, H: Winterherzen: Für morgen, für immer
an, als sich die Dämmerung verfrüht über die Stadt senkte.
Der Ausbruch des Sturmes schien einen Bruch in die Verhandlungen zu bringen. Alle Anwesenden fühlten sich erschöpft und schläfrig, und das Trommeln des Regens an die Scheiben übte eine beruhigende Wirkung aus. Gesichtspunkte, denen noch an diesem Morgen eine entscheidende Bedeutung beigemessen wurde, waren plötzlich nicht mehr wichtig. Nun zählte nur noch, eine Einigung zu erzielen, die Sitzung zu beenden und nach Hause zu gehen.
Und endlich war es geschafft. Die Männer in zerknitterten Hemdsärmeln schlüpften müde in ihre Jacketts, schüttelten sich lächelnd die Hände. Claire sammelte ihre Notizen ein, verließ still den Saal und ging in ihr Büro.
Sie beabsichtigte, das Ergebnis der Abschlusssitzung noch an diesem Abend abzutippen. Sie war zwar erschöpft und ihr Körper schmerzte, aber sie wollte die Dokumente aufsetzen, solange ihre Erinnerung noch frisch war. Außerdem wurden die Verträge gleich am nächsten Morgen gebraucht, sodass sie es entweder sofort erledigen oder am kommenden Tag früher anfangen musste. Und nun am Abend herrschte eine friedlichere Atmosphäre. Das Gebäude war leer, abgesehen von den Vorstandsmitgliedern, die die Einzelheiten der Übernahmeverträge ausgehandelt hatten und im Begriff standen, nach Hause zu gehen. Daher gab es keine Telefongespräche und keinerlei sonstige Unterbrechungen zu befürchten.
Claire hatte kaum begonnen, die Informationen in den Computer einzutippen, als sich die Tür öffnete. Sie blickte fragend auf. Ihr Gesicht wurde zu einer ausdruckslosen Maske, als sie Max sah. Wortlos wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu.
Ungerührt spazierte er zu ihrem Schreibtisch und stützte einen Arm auf den Computer-Bildschirm. Er runzelte die Stirn, als er erkannte, womit sie sich beschäftigte. „Das muss nicht heute noch erledigt werden.“
„Ich muss es jetzt tun oder morgen früher kommen.“ Sie hieltden Blick auf den Bildschirm geheftet. Seine Anwesenheit erweckte in ihr ein Gefühl der Spannung und dieses dumpfe Stechen in der Herzgegend.
„Es kann warten“, entschied er und schaltete den Computer ab. Der Bildschirm wurde schwarz. Sämtliche Informationen, die sie bisher eingegeben hatte, erloschen. „Du bist erschöpft, Claire, und du hast heute nichts gegessen. Ich lade dich zum Dinner ein, und dann werden wir reden. Du hast mich lange genug hingehalten.“
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und blickte kühl zu ihm auf. „Mir fällt nichts ein, worüber wir reden könnten, Mr. Conroy. Es gibt keine Firmengeheimnisse mehr, die ich ausplaudern könnte.“
Zorn spiegelte sich auf seinem Gesicht, und er verkündete in stahlhartem Ton: „Ich habe mich zwei Wochen lang hinhalten lassen, aber das ist jetzt vorbei.“
„Ach, wirklich?“, entgegnete sie ungerührt und schaltete den Computer wieder ein. „Entschuldigung, ich habe zu arbeiten.“ Sie konnte es sich nicht leisten, in irgendeiner Form auf ihn einzugehen, denn sie war fast am Ende mit ihrer Beherrschung.
Mit einer heftigen Bewegung stellte Max den Computer wieder ab. Seine Augen blitzten blaugrün, durchdringend wie Laserstrahlen. „Du kommst jetzt mit mir. Hol deine Tasche – und lass das verdammte Ding aus“, fauchte er, als sie die Hand nach dem Schalter ausstreckte.
Claire starrte auf den leeren Bildschirm. „Ich gehe nirgendwo mit dir hin.“
„Soll ich dich zwingen? Du scheinst vergessen zu haben, dass du bei ‚Spencer-Nyle‘ angestellt bist.“
„Ich habe gar nichts vergessen. Aber meine Stellung erfordert nicht, dass ich außerhalb des Büros mit dir verkehre. Ich bin sehr wählerisch geworden, was meinen Umgang angeht.“ Ruhig blickte sie ihn an. Sie war fest entschlossen, ihn ihren inneren Aufruhr nicht spüren zu lassen.
Und als Claire Max so betrachtete, sah sie einen ganz anderen Mann als denjenigen, den sie zu kennen geglaubt hatte. Er war nichtdie Verkörperung des beherrschten, reservierten, recht konservativen Engländers, sondern vielmehr ein verwegener, entschlossener Mann, der sich durch nichts aufhalten ließ. Hinter der Fassade des eleganten, bis in die Fingerspitzen kultivierten Weltbürgers verbarg sich ein Wilder. Er erinnerte sie an einen Hai, der durch schillernde Meere schießt und die Menschen mit seinem wundervollen Äußeren blendet, bevor er zum Angriff ansetzt.
Er stand sehr still da, mit missbilligend funkelnden Augen und zusammengepressten Lippen. „Ich weiß, dass du
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