Linda Lael Miller
ein Buch über Pine River. Ich habe
es heute morgen aus der Bibliothek geholt.«
Roberta zog
ihre Augen schmal zusammen. »Es ist dieses verfluchte Haus. Deshalb
interessieren Sie sich so sehr für die Geschichte von Pine River, nicht wahr?«
»Ja.«
Elisabeth fühlte sich, als wäre sie wegen irgend etwas angeklagt worden.
»Es gibt
Dinge auf dieser Welt, junge Frau, die man besser in Ruhe läßt. Und die
Geheimnisse dieses alten Hauses gehören dazu.«
»Sei nicht
so zänkisch, Schwester«, tadelte Cecily. »Es ist nur natürlich, neugierig zu
sein.«
»Es ist
auch gefährlich«, konterte Roberta.
Elisabeth
erkannte, daß dieser Besuch sie nicht weiterbrachte, weshalb sie ihn möglichst
bald beendete. Als Cecily sie durch den Wohnraum geleitete, schrak Elisabeth
aus ihren Überlegungen durch einen braunen, haarigen Schrumpfkopf auf, der auf
dem Piano stand.
»Häuptling
Zwilu von den Ubangis«, vertraute Cecily ihr an, als sie Elisabeths entsetzten
Blick sah. »Da die grausige Tat bereits begangen worden war, sahen wir keinen
Grund, warum wir den armen Kerl nicht als Souvenir mitbringen sollten.«
Elisabeth
erschauerte. »Die Leute vom Zoll müssen begeistert gewesen sein.«
Cecily
schüttelte den Kopf und entgegnete ernsthaft: »O nein, meine Liebe. Sie waren
ziemlich aufgeregt. Aber Schwesterchen war ungewöhnlich redegewandt, und so
haben sie uns erlaubt, den Häuptling ins Land zu bringen.« Kurz bevor sie sich
am Gartentor trennten, tätschelte Cecily Elisabeths Arm. »Machen Sie sich
nichts aus meinem Schwesterchen. Sie war nur eingeschnappt, weil sie meine
Rindfleischkasserolle stets ihrer Gemüse-Lasagne unterlegen findet.«
»Ich werde
mir deshalb keine grauen Haare wachsen lassen«, versicherte Elisabeth und
lächelte erst, als sie die Einfahrt entlangging.
In der
Diele ihres Hauses blinkte die Lampe am Anrufbeantworter, und Elisabeth
drückte die Abspieltaste.
»Hallo, Elisabeth!«
Die Stimme gehörte Traci, der Frau ihres Vaters. »Marcus hat mich gebeten,
anzurufen und mich zu erkundigen, ob du Geld brauchst und wir dich irgendwie
überreden können, den Sommer mit uns in Tahoe zu verbringen. Wenn ich nichts
von dir höre, nehme ich an, daß es dir gutgeht. Ciao!«
»Ciao!«
erwiderte Elisabeth süßlich, während eine zweite Nachricht zu laufen begann.
»Elisabeth?
Hier ist Janet. Ich wollte dir nur sagen, der Besuch war schön. Kommst du
nächstes Wochenende nach Seattle? Ruf mich an.«
Elisabeth
schaltete das Gerät aus und ging langsam die Treppe hinauf. Aus einer Laune
heraus stieg sie weiter zum Dachboden hoch.
Vielleicht
hatte sie in der bewußten Nacht schlafgewandelt und das Männerjackett auf dem
Dachboden gefunden, um ihren Traum zu beweisen.
Die
Dachbodentür quietschte so laut in den Angeln, daß sie Tote geweckt hätte, ganz
zu schweigen von Schlafwandlern. Truhen, Kommoden, Kisten, Stühle und der
Fußboden – alles war dicht mit Staub bedeckt. Hier war lange niemand gewesen.
Elisabeth
kehrte in den ersten Stock zurück und zog die Halskette unter dem Sweater
hervor. Ihr Herz schlug schmerzhaft schnell, und ihr Magen drückte. »Bitte,
Jonathan, sei da ...«
Sie
probierte den Knauf, aber noch bevor sie ihn berührte,
wußte sie, daß er sich nicht drehen ließ. Offenbar konnte sie die Welt auf der
anderen Seite dieser Tür nicht betreten, wann sie wollte, auch nicht mit der
Halskette. Andere Kräfte, die sie nicht begriff, mußten zur Stelle sein.
»Ich muß
dir von dem Feuer erzählen«, sagte sie traurig, während sie an dem Holzrahmen
herunterglitt und sich auf den Boden des Korridors setzte, die Beine angezogen,
die Stirn auf die verschränkten Arme gelegt. »Bitte, Jonathan, laß mich ein!«
Sie mußte eingeschlafen sein und
erwachte auf dem Fußboden mit einem Ruck, als sie ihren Namen flüstern hörte.
»Elisabeth!
Elisabeth, komm zurück! Ich muß mit dir sprechen!«
Sie blickte
aufgeschreckt zu dem Korridorfenster und sah, daß es draußen noch hell war.
Dann raffte sie sich auf.
»Trista?«
Sie griff nach dem Türknauf. Der ließ sich leicht drehen. Auf der anderen Seite
der Tür fand sie das Kind, das ein ganzes Menschenleben älter war als sie.
Trista saß
neben dem großen Puppenhaus auf dem Fußboden ihres Zimmers, die Unterlippe
vorgeschoben. »Ich bin bestraft worden.«
Elisabeth
kniete sich neben das kleine Mädchen und umarmte es. »Was hast du denn getan?«
»Nichts.«
Jonathans Tochter reichte Elisabeth eine kleine Porzellanpuppe, während
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