Linda Lael Miller
letzte, das ihr von all ihren schönen Dingen aus New York
geblieben war – mit Webbs Blut befleckt war. Es war unwiderruflich zerstört –
und vielleicht war es ja ganz richtig so. Dieser Teil ihres Lebens war endgültig
vorbei. Sie hatte die Augen vor dieser Tatsache verschließen wollen, indem sie
mit Eli McKutchen kokettierte, aber die harte Wahrheit war, daß sie gar nicht
mehr in seine Welt gehörte. Vielleicht war es nie der Fall gewesen. »Bringt
Webb zu mir!«
Sie wandte
sich zum Gehen, aber in der frischen Luft mußte sie sich einen Moment am
hölzernen Geländer des Bürgersteigs festhalten, aus Angst, ohnmächtig zu
werden.
»Bonnie.«
Es war Eli,
und er stand neben ihr, aber sie konnte sich nicht dazu überwinden, ihn
anzuschauen. »Es ist wegen dir«, sagte sie heiser. »Es konnte nur geschehen,
weil du die Situation hier so lange vernachlässigt hast. Wenn Webb nicht deine
Partei ergriffen hätte ...«
»Bitte
nicht, Bonnie.« Elis Stimme klang gebrochen.
»Hilf
ihnen, Eli. Hilf ihnen, Webb nach Hause zu bringen«, sagte sie hart.
Eli zögerte
noch einen Moment und kehrte dann zur Redaktion zurück. Irgendwie gelang es
Bonnie, ihren Laden noch vor dem Arzt und den Männern zu erreichen. Sie wartete
schon, als sie Webb auf einer behelfsmäßigen Trage hereintrugen.
Durch den
stillen Laden brachten sie den Verletzten in den ersten Stock in Bonnies
Wohnung. Sie führte die Männer in ihr Schlafzimmer und bedeutete ihnen, Webb
auf ihr Bett zu legen. Dabei schaute sie die Männer, und ganz besonders Eli, so
herausfordernd an, daß keiner einen Kommentar abzugeben wagte.
Als Bonnie
vorsichtig eine Decke über Webb breitete, stöhnte er leise und bewegte sich
unruhig.
»Sagen Sie
mir, was ich für ihn tun kann«, wandte sie sich an den Arzt.
»Als
erstes, junge Frau, werden Sie jetzt hinausgehen, damit ich Webbs Brustkasten
bandagieren und mich um seine anderen Verletzungen kümmern kann«, erwiderte der
Arzt. »Eli, Sie können bleiben und mir helfen.«
»Ich möchte
auch helfen!« protestierte Bonnie.
Doc Cowan
bedachte sie mit einem strengen Blick. »Was Sie wollen, interessiert mich
nicht. Verschwinden Sie!«
»Aber ...«
»Sofort!«
knurrte der Doktor.
Errötend
ging Bonnie hinaus und in die Küche hinunter, um Wasser zum Kochen aufzusetzen.
Dabei murmelte sie Verwünschungen, die selbst in Patch Town als unakzeptabel
gegolten hätten. Doch dann meldete sich ihr Gewissen, und sie dachte, daß das
alles nicht geschehen wäre, wenn sie Webb geheiratet hätte, anstatt sich mit
Eli zu vergnügen.
Bei der
Erinnerung an die in Elis Bett erlebten Freuden errötete sie vor Scham.
Vielleicht war die Strafe für ihre Sünden der Tod. Webbs Tod.
19
Der
Regen begann
irgendwann in der Nacht, hämmerte auf die Dächer von Northridge und knisterte
wie Feuer auf dem stürmisch dahinschießenden Wasser des Columbia River.
Anfangs
schenkte Bonnie, die neben ihrem bewußtlosen Patienten Wache hielt, dem
Unwetter keine Beachtung. Die Tasse Tee, die Katie ihr vor langer Zeit gebracht
hatte, ruhte kalt und unangetastet in ihrer Hand.
Sie
erschrak ein wenig, als Katie ihr die Tasse abnahm und sagte: »Mein Gott,
Madam, hören Sie den Regen? Es ist ein Wolkenbruch, der sogar Noah in Angst und
Schrecken versetzen würde.« Fragend schaute Bonnie auf. »Katie?«
Zärtlich
berührte das junge Mädchen Bonnies Stirn. »Wer sonst?« entgegnete sie in
ungewöhnlich besorgtem Ton.
Dann ging
sie hinaus und kehrte kurz darauf mit einer frischen Tasse Tee zurück.
»Diesmal sollten Sie ihn aber trinken!« sagte sie und drückte Bonnie die Tasse
in die Hand.
Bonnie
trank einen Schluck, ohne den Blick von Webbs blassem, zerschlagenem Gesicht
abzuwenden. »Sieh nur, was wir ihm angetan haben«, flüsterte sie.
»Wir,
Madam?« Katie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Bonnie. »Es
waren die Gewerkschaftsleute, wenn Sie mich fragen. Die ganze Stadt denkt so.«
Bonnie
hätte es nicht ertragen, Erklärungen abzugeben, sie wollte nicht einmal darüber
nachdenken. »Geh zu Bett, Katie. Es muß schon spät sein.«
»So ist
es«, bestätigte Katie, aber sie rührte sich nicht. »Trinken Sie noch etwas
Tee.«
Gehorsam
hob Bonnie die Tasse an die Lippen und trank. »Es regnet«, bemerkte sie
zerstreut.
»Und ob!
Alle Männer aus Northridge sind unten am Fluß und stapeln Sandsäcke.«
Das riß
Bonnie endlich aus ihrer Versunkenheit. »Was?«
»Patch Town
wird weggeschwemmt, wenn es ihnen nicht gelingt,
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