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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Preis des Verlangens
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mich zu
erwischen. Und wenn Pas Zorn wirklich einmal größer war als seine Geduld, ist
Charlie dazwischengegangen.«
    »Apropos
Charlie«, sagte Annabel stirnrunzelnd. »Ich glaube, ich habe ihn seit dem Tag,
an dem du angeschossen wurdest, nicht mehr gesehen. Was glaubst du, wo er
stecken könnte?«
    Diese Frage
hatte Nicholas sich bisher nie gestellt – bis jetzt. Charlie war in erster
Linie ein Indianer, und obwohl er im Haus gewesen war, solange Nicholas sich zurückentsinnen
konnte, machte er, was er wollte und wann er es wollte. Aber Annabel hatte
recht – es war schon eigenartig, daß er noch nicht aufgetaucht war.
    Nicholas
spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten, obwohl er sich bemühte,
gleichgültig zu erscheinen, um seine Mutter nicht unnötig zu beunruhigen.
»Wahrscheinlich ist er irgendwo in den Bergen und erholt sich von der Kocherei
oder palavert mit seinem Namenspatron – es ist ein Panther, glaube ich.«
    Annabel
tat, als wolle sie ihn schlagen. »Du bist respektlos, und das gefällt mir
nicht.«
    Nicholas
verzog das Gesicht. »Das ist mir egal«, meinte er.
»Würdest du Olivia bitte wieder zu mir schicken?« Mit einer Kopfbewegung
deutete er auf das Buch auf seinem Nachttisch. »Sie war gerade an der Stelle,
wo Gulliver die Ungeheuer trifft.«
    »Ich werde
dir Ungeheuer geben!« erklärte Annabel mit gespielter Strenge. Es machte ihr
ganz offensichtlich Spaß, ihn zu bemuttern, wenn auch verspätet, und weil er
sich manchmal gern bemuttern ließ, ließ er es sich gefallen. »Und warte nicht
darauf, daß Olivia bald wiederkommt. Sie wird mir helfen, meinen neuen
Haushalt einzurichten.«
    »Ja, darum
wollte ich sie auch schon bitten«, bemerkte Nicholas grinsend. »Wenn auch in
etwas anderer Hinsicht.« Er brauchte nur zu überleben – was keine einfache
Aufgabe war, nicht einmal jetzt. Er fühlte sich, als wären ihm sämtliche
Glieder einzeln ausgerissen und falsch wieder zusammengesetzt worden.
    »Sieh zu,
daß du aus dem Bett kommst, du Faulenzer«, scherzte Annabel, obwohl sie eine
ernste Miene dabei bewahrte. »Dir geht es offenbar schon gut genug, um deine
normalen Beschäftigungen wieder aufzunehmen.«
    Nicholas
zwinkerte ihr zu, griff nach seinem Buch und tat, als verlöre er sich in die
Abenteuer Gullivers im Land der Ungeheuer. In Wirklichkeit jedoch dachte er
über Charlies Verschwinden nach, über Jack Horncastles Bande, die etwas weiter
unten an der Straße im Gefängnis saß, und die Tatsache, daß seine
Zielsicherheit und die Schnelligkeit, mit der er seine Waffe zog, unter der
langen Untätigkeit sehr leiden würden.
    Annabel
fand, daß Miss
Julia Sermons Abreise aus Parable eine sehr diskrete Angelegenheit war, verglichen
mit ihrer eigenen aufsehenerregenden Ankunft in der Stadt. Die frühere
Bordellbesitzerin, die dezent wie eine Pfarrersfrau gekleidet war, bestieg die
Postkutsche nur mit einem kleinen Koffer in der Hand. All ihren anderen Besitz
hatte sie entweder bei einer Frachtgesellschaft aufgegeben oder unter ihren Mädchen
verteilt, die traurig auf den hölzernen Bürgersteigen standen und ihr mit
Seidentaschentüchern nachwinkten, als die Postkutsche sich in Bewegung setzte.
    Annabel,
die das Schauspiel durch das Fenster der Bank verfolgte, prüfte noch einmal ihr
Gewissen, was den Erwerb des Samhill Saloons betraf, und konnte sich nicht ganz
von egoistischen Motiven freisprechen. Obwohl ihr Vorhaben, die Stadt von
Whiskey, Kartenspiel und Prostitution zu befreien, durchaus lobenswert war –
wenn auch möglicherweise undurchführbar, selbst für sie –, konnte Annabel nicht
leugnen, daß sie froh war, Miss Sermon Ioszusein. Für immer.
    Sie biß
sich auf die Lippen, weil diese Überlegungen sie beschämten. Miss Sermon war
nur eine Frau, kein Ungeheuer – eine ganz normale Sterbliche mit genügend
eigenem Kummer.
    Gabriel war
ein erwachsener Mann, der Verstand besaß und ein Gewissen; er würde immer tun,
was er für richtig hielt, was bedeutete, daß sie ihm bedenkenlos vertrauen
konnte. Und sie vermutete, daß er recht hatte, als er ihr vor einigen Tagen auf
Jessies Veranda sagte, es werde mehr Probleme schaffen als lösen, wenn sie den
Saloon schloß.
    Der
Bankdirektor trat lächelnd hinter Annabel und wippte auf
den Absätzen. Er hatte die unangenehme Angewohnheit, mit der Zunge zu
schnalzen, was Annabel maßlos auf die Nerven ging.
    »Es wird
sich noch nicht herumgesprochen haben, daß Sie den Saloon in ein Hotel
verwandeln wollen«, sagte er. Sie

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