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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Preis des Verlangens
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zu
verarbeiten.
    Olivia Drummond hatte noch nie jemanden
wie Nicholas McKeige gekannt, und während sie vor dem Frisierspiegel in Jessies
Gästezimmer saß, überlegte sie, daß es auch nicht ratsam wäre, die Bekanntschaft
mit ihm zu vertiefen.
    In San
Francisco hatte sie das zurückgezogene Leben einer unverheirateten Frau geführt
und für ihren verwitweten Bruder Caleb und dessen Tochter Eleanor gesorgt, sich
mit Klavierstunden ihr Taschengeld verdient und ihre Nichte und einige ihrer
Klassenkameradinnen in Latein und Mathematik unterrichtet. An Sonn- und
Feiertagen hatte sie den Gottesdienst besucht, und an den Wochentagen hatte sie
die Hausarbeit erledigt.
    Mehr wurde
auch nicht von ihr erwartet. Von frühester Kindheit an hatte niemand sie im
Zweifel darüber gelassen, daß sie alles andere als hübsch war – daß sie so ganz
und gar nichts von ihrer schönen, längst verstorbenen Mutter hätte. Bis auf
ein vages, beschämendes Verlangen, das sie hin und wieder überfiel, oder einen
gelegentlichen schönen Traum hatte Olivia sich mit ihrem Schicksal abgefunden.
    Dann, ganz
plötzlich, vor ein paar Monaten, hatte Caleb wieder geheiratet, eine Stellung
bei einer Bank in Hongkong angenommen und San Francisco mit Bella, seiner neuen
Frau, ihren beiden jungen Söhnen und seiner Tochter Eleanor verlassen.
Natürlich war für Olivia kein Platz in dieser neu gegründeten Familie gewesen.
    Im Stich
gelassen hatte man Olivia dennoch nicht. Caleb hatte sie gewiß nicht ohne ein
Dach über dem Kopf und ohne einen Penny in Amerika zurückgelassen, aber während
der hektischen Wochen vor der Hochzeit hatte sie sehr viel nachgedacht und war
sich über vieles klargeworden. Sie hatte beschlossen, daß es an der Zeit war,
ihren eigenen Weg im Leben zu gehen, und aus diesem Entschluß heraus hatte sie
sich nach einer Stellung umgesehen.
    Sie hatte
auf eine Annonce geantwortet, in der eine Lehrerin
für eine Schule in Parable, Nevada, gesucht wurde, und da war sie jetzt.
    Und da war
auch Nicholas. In diesem Augenblick sogar unten im Erdgeschoß des Hauses, in
dem sie wohnte.
    Wieder
schaute Olivia sich im Spiegel an. Ihre sonst so blasse Haut war rosig
angehaucht. Ihre Augen leuchteten ganz ungewöhnlich und ihr Herz hämmerte in
ihrer Brust.
    All diese
Veränderungen hatten begonnen, als Nicholas ihr bei der Teegesellschaft seinen
Arm geboten und vorgeschlagen hatte, mit ihm hinauszugehen.
    Olivia
stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte die Fingerspitzen an ihre Stirn .
Es ist völlig unmöglich, was du da empfindest, dachte sie. Schlicht und
einfach unausdenkbar!
    Seine Augen
waren unglaublich blau und ausdrucksstark. Sein klarer Blick verriet wache
Intelligenz und eine Qual, die oft bis an die Grenze des Erträglichen zu
reichen schien. Die Form seines Mundes ließ auf den Mutwillen eines kleinen
Jungen und die ausgeprägte Sinnlichkeit eines erwachsenen Mannes schließen.
Sein Haar, wenn er es offen trug, reichte ihm bis auf die Schultern wie die
Mähne eines Wikingers, der es gewohnt war, Eroberungen zu machen.
    Olivia
zitterte. Sie hatte sich schon sehr oft vorgestellt, erobert zu werden, aber
diese Phantasie war immer ziemlich nebulös und verschwommen geblieben, eine
Illusion, die sich wie eine exotische Blüte nur nachts entfaltete und im harten
Licht des Tages wieder schloß.
    Nicholas
McKeige, ermahnte
sie sich streng, ist erst neunzehn Jahre alt. Kaum älter als die meisten
ihrer Schüler. Es war geradezu skandalös, auf diese Art an ihn zu denken – wie
es sein mochte, im Mondschein mit ihm spazierenzugehen, Hand in Hand; wie seine
Lippen sich anfühlen würden, wenn sie sie auf ihren spürte ...
    Ein
entschiedenes Klopfen ertönte an der Zimmertür.
    »Ja?« rief
Olivia.
    Nicholas'
Stimme kam ihr wie ein rauhes Streicheln vor. »Das Abendessen ist fertig, Miss
Drummond«, sagte er.
    Das war
alles, und dennoch lösten seine Worte die verschiedenartigsten Empfindungen in
ihr aus – ein warmes Glühen erfaßte ihren Körper, ein fast schmerzhaftes Ziehen
ging durch ihren Leib, und ihre Brüste wurden seltsam schwer.
    »Ja ...
danke«, erwiderte sie mit einer Stimme, die eher zu einem kleinen Mädchen zu
gehören schien statt zu einer reifen Frau.
    Olivia ging
zum Waschtisch und kühlte ihr Gesicht mit Wasser, aber auch das konnte ihre
aufgewühlten Sinne nicht beruhigen. Es war, als ob ihr Verstand und ihre
Vernunft sie ganz plötzlich im Stich gelassen hätten.
    Miss
McKeige hatte im Eßzimmer den Tisch

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