Linda Lael Miller
Glorianas Behauptung nicht in Frage.
Der
Laden befand sich
in einem zweistöckigen Gebäude mit Giebeln und einem roten Ziegeldach. Gloriana
fühlte sich sofort zu Hause an diesem Ort, trotz des schrecklichen Heimwehs,
das sie niemals ganz verließ.
»Wie
schön«, meinte sie, als sie das Schaufenster mit den alten, ledergebundenen
Büchern sah.
Janet
lächelte, stieg aus und spannte einen Schirm auf. »Danke«, rief sie Gloriana
zu, während sie zum Ladeneingang hinübereilte und die Tür aufschloß.
Gloriana
folgte ihr, und einen Moment später standen sie in einem großen, gemütlichen
Raum voller Bücherregale.
»Ja, es ist hübsch, nicht wahr?« sagte Janet, als sie den Regenmantel ablegte und an
einen Haken neben der Tür hängte. Den Schirm ließ sie aufgespannt auf dem gekachelten
Boden stehen, damit er trocknete. »Ohne das Geld, das Lyn und ich geerbt haben,
könnte ich diesen Laden natürlich niemals führen. Meine Ware ist teuer, und
Leute, die sich handgeschriebene Manuskripte und alte Tagebücher leisten
können, sind heute dünn gesät.«
Gloriana
runzelte verwirrt die Stirn und versuchte, Janets Worten einen Sinn zu
entnehmen, während sie ihre Jacke ablegte.
Janet
deutete auf eine Tür. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo Sie wohnen werden. Wie
ich bereits sagte, gehört ein gemütliches kleines Apartment zum Laden.«
Gloriana
folgte ihr mit einem sehnsüchtigen Blick auf die ansehnliche Kollektion von
Büchern. »Haben Sie keine Angst, einer Fremden solchen ... Reichtum anzuvertrauen«
Janet
lächelte. »Lyn vertraut Ihnen«, erwiderte sie. »Das genügt mir. Er ist ein
guter Menschenkenner, und im übrigen würde ich den Verstand verlieren, wenn
ich nicht für eine Weile von hier fortkäme. Ich ertrage dieses Wetter nicht.«
Die kleine
Wohnung über dem Geschäft war in der Tat sehr hübsch, mit einem Kamin, bequemen
Sesseln, wie es sie in der rauheren, einfacheren Welt, die Gloriana kannte,
nicht gab, einem Fernseher und zahlreichen Bücherregalen. Das kleinere der
beiden Schlafzimmer verfügte über ein separates Bad mit einer großen Wanne,
einer Toilette und einem Waschbecken; im großen Wohnraum befand sich eine
eingebaute kleine Küche.
»Setzen Sie
sich, ich koche uns Tee«, sagte Janet heiter und ging zu einem Schrank, um
buntes Keramikgeschirr herauszunehmen. »Ich bin froh, daß Sie den Laden so
schnell übernehmen können, Gloriana. Wir sollten allerdings bald Lyn anrufen.
Er wird sich Sorgen machen, bis er weiß, daß alles in Ordnung ist und Sie nicht
allzu überwältigt sind.«
Gloriana
lächelte unwillkürlich, als sie sich in einen der herrlich weichen Sessel
setzte. Wie Lyns Cottage war auch Janets kleine Wohnung angenehm warm und
unglaublich sauber.
Wenn > überwältigt < bedeutet, was Gloriana vermutete, dann war sie es,
zweifelsohne. Sie lernte so viele neue Dinge und so schnell, daß sie manchmal
glaubte, der Kopf müsse ihr vor lauter Druck platzen. Sicher, sie war intelligent
und von Pater Cradoc in vielen Dingen unterrichtet worden,
doch Latein, Griechisch und Mathematik waren nichts im Vergleich zu dem, was
sie hier in dieser modernen Welt zu lernen hatte.
Janet
brachte Sandwiches und Tee, und Gloriana verfolgte fasziniert, wie Janet
verschiedene Knöpfe an dem Telefon betätigte. Obwohl sie und alle anderen eine
solch mühelose Verbindung für selbstverständlich hielten, war sie für Gloriana
noch immer ein unfaßbares Wunder.
Ihr Herz
klopfte vor Erregung, als Janet ihr den Hörer reichte. Gloriana hatte noch nie
über ein Telefon gesprochen, und als sie Lyns Stimme hörte, erschrak sie.
»Hallo,
Gloriana«, sagte er freundlich.
»H-hallo«,
erwiderte Gloriana atemlos. Wenn es doch nur ein Gerät gäbe, das ihr erlaubte,
Dane zu hören, wie sie Lyn jetzt hörte!
»Ist meine
Schwester nett zu Ihnen?«
Gloriana
nickte. »Ja. Janet ist sehr nett – wie Sie.« Es war entnervend, mit jemandem zu
sprechen, den man nicht sehen konnte – als führte man ein Gespräch mit einem
Geist.
Lyn
versicherte ihr, sie könne ihn anrufen, wann immer sie wolle, und nannte ihr
seine Nummer. Danach gab sie Janet den Hörer zurück und trat ans Fenster, um
hinauszuschauen.
Sie war
unter Freunden, das wußte sie, und doch ließ der fast schmerzhafte Wunsch, Dane
zu sehen, ihn zu berühren und seine Stimme zu hören, keine Sekunde nach. Würde
sie nie den Weg zu ihm zurückfinden? Mußte sie sich damit abfinden, den Rest
ihres Lebens im zwanzigsten Jahrhundert zu
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