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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Rohde
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wir haben ihn nach seinem Opa benannt, nach Rosalies Vater. Nicht einfallsreich, aber Karl der Große hat sich sehr darüber gefreut.“ Friedrich lachte beherzt. „Das war ein kleines Wortspiel. Fortan war unser Sohn Karl der Kleine. Ach, jetzt verzettle ich mich, ich bin etwas unkonzentriert.“
    Entschuldigend blickte Friedrich in die Runde. „Da Karl mit der Arbeit auf der Farm groß wurde, vermuteten wir, er würde die Farm eines Tages übernehmen. Seltsamerweise war ihm das Schicksal nicht bestimmt, denn er war es, den es fortzog. Fort von Argentinien, hin zu Deutschland. Er wollte studieren und er fragte uns Löcher über unser Geburtsland in den Bauch.“
    Friedrich schüttelte ungläubig den Kopf. „Das Leben ist doch faszinierend und läuft häufig anders ab, als wir es planen. Als Karl alt genug war, zog es ihn zum Studium nach Berlin.“ Er seufzte tief. „Als er weg war, vermissten wir ihn wahnsinnig! Er hinterließ eine große Lücke.“ Friedrich faltete die Hände über seinem Bauch zusammen und fuhr fort. „Das Leben auf dem Land verlief seinen gewohnten Gang, bis Rosalies Bruder eine Frau aus der Umgebung heiratete. Karl, der Große, war bedacht genug, seinem Sohn langsam aber sicher das Ruder über die Farm in die Hand zu geben. Er und Irmgard zogen sich auf ihr Altenteil zurück und mischten sich nicht mehr in die Geschäfte ein.“
    „Und deine Eltern?“
    „Sie blieben dort und wurden mit Karl und Irmgard gemeinsam alt und grau. Ich glaube, etwas Besseres hätte allen nicht passieren können, denn sie verstanden sich gut und genossen den wohlverdienten Ruhestand. Es ist für mich ein unvergessliches Bild, wie sie abends beieinander saßen und erzählten. Nach all den Wirren der dreißiger und vierziger Jahre fanden sie ihre Ruhe an einem Ort, von dem sie nie gedacht hätten, dort alt zu werden.“ Betrübt verdunkelten sich die Augen von Friedrich. „Irmgard starb als Erste, meine Mutter folgte ihr nur wenige Wochen später. Karl und mein Vater schliefen im selben Jahr ein. Es war eigenartig, es war, als ob sie es eilig hatten, im Jenseits schnell wieder zueinander zu finden. An warmen Sommerabenden beschlich uns das Gefühl, ihre Stimmen zu hören, wie sie lachten und erzählten. Es war ein tröstlicher Gedanke.“
    „Und Rosalie?“, fragte Paula leise und bedächtig.
    „Meine Rosalie?“ Traurig zuckte sein Mundwinkel. „Sie erkrankte Ende der Neunziger schwer. Sie konnte sich auf einmal nicht mehr richtig bewegen, das Laufen und Arbeiten fiel ihr schwer. Sie war ständig müde. Wir fuhren mit dem Auto in die Stadt, die uns vor über vierzig Jahren fast gelyncht hatte. Die Diagnose, die wir dort in der Klinik bekamen, war niederschmetternd: Krebs. Unheilbar. Rosalie nahm die Nachricht erstaunlich gelassen auf und wir fuhren unverrichteter Dinge zurück. Sie bestand darauf, normal weiterzuleben und nicht viel Aufhebens um die Sache zu machen. Die Sache! Sie war todkrank.
    Die ersten Wochen verliefen relativ normal. Sie schonte sich und schwere Arbeiten gestattete ich ihr gar nicht mehr. Aber Krebs ist eine tückische Krankheit. Sie lauerte in ihr und breitete sich weiter aus, ehe sie begann ihren Körper vollständig zu vereinnahmen. Schlagartig baute sie ab, lag viel im Bett und schlief. Wenn es ihr einigermaßen gut ging, fand ich sie träumend auf der Veranda.
    Unserem Sohn durfte ich nicht sagen, wie es um sie stand. Sie wollte nicht, dass er aus Deutschland kam und sah, wie sie von innen aufgefressen wurde und zusehends ausmergelte. Schmerzen blieben ihr gottlob erspart, denn ich hatte alle Hebel der Welt in Bewegung gesetzt, um genug Morphium im Haus zu haben.
    Ihr selbst schien der körperliche Zerfall wenig auszumachen. Sie akzeptierte es mit stoischer Gelassenheit und ich vermute, sie sehnte sich nach ihren Eltern. Außerdem war sie ein Mensch, der sich immer gerne bewegt hatte und die Behinderung, die der Krebs mit sich brachte, schränkte sie in einer für sie unzumutbaren Weise ein. Sie gab sich auf, sie wollte dieser Welt entfliehen und in eine andere eintauchen.
    Ich litt in der Zeit am meisten. Ich, der ohnmächtig zusehen musste, wie sie allmählich verschwand. Manchmal, wenn ihr Blick klar war, blickte sie mich traurig an. Sie machte sich Sorgen um mich, weil ich alleine zurückbleiben würde. Das ist doch verrückt, oder? Macht sich Sorgen um mich!“
    Erschöpft holte Friedrich Luft. „In ihren letzten Stunden saß ich bei ihr am Bett. Sie nahm mir ein

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