Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)
Stimme:
Besser ist ein Rum zum Schmause
Nächtens Schlaf und morgens Tee;
Besser, Brüder, ist’s zu Hause! ...
Sie hatten sich einander vorgestellt, kamen ins Gespräch – beides Moskauer. In Jagodnoje, in der Nördlichen Verwaltung, hatte sich nur Warpachowskij vom Transport abseilen können. Andrejew war weder Regisseur noch Schauspieler. In Dshelgala bekam er eine Haftstrafe, dann lag er lange im Krankenhaus, und auch jetzt war er am Kreiskrankenhaus in Belitschja, etwa sechs Kilometer von Jagodnoje – in der Versorgung. Bei der Aufführung der Kulturbrigade war er nicht gewesen, aber er war froh, Warpachowskij zu sehen.
Warpachowskij hatte die Brigade ziehen lassen – man hatte ihn eilig ins Krankenhaus gelegt. Bis die Brigade in die Frauen-Sowchose nach »Elgen« fährt und zurückkommt, wird er, Warpachowskij, nachdenken und überlegen können.
Andrejew und Warpachowskij unterhielten sich viel und kamen zu dem Schluß: Warpachowskij wird einen Brief an Rydassowa schreiben, in dem er den ganzen Ernst seines Gefühls schildert und an die besten Gefühle Rydassowas appelliert. An dem Brief schrieben sie mehrere Tage, sie feilten an jedem Satz. Ein Bote, ein zuverlässiger Arzt, brachte den Brief nach Magadan, und es blieb nur zu warten. Die Antwort kam, als Andrejew und Warpachowskij schon getrennt waren, als die Kulturbrigade schon zurück war in Magadan: Warpachowskij wird aus der Kulturbrigade entlassen und zu allgemeinen Arbeiten in die Strafmine geschickt. Süskind, seine Frau – wird zu allgemeinen Arbeiten nach »Elgen« geschickt, ins landwirtschaftliche Frauenlager.
»So war des Himmels Antwort«, wie es in einem Gedicht von Jasieński heißt.
Andrejew und Warpachowskij trafen sich in Moskau auf der Straße. Warpachowskij war Künstlerischer Leiter des Jermolowa-Theaters. Andrejew arbeitete bei einer Moskauer Zeitschrift.
____
Warpachowskijs Brief zog Rydassowa direkt aus dem Briefkasten ihrer Wohnung in Magadan.
Das gefiel ihr nicht und gefiel Iwan Fjodorowitsch ganz und gar nicht.
»Extrem dreist sind sie geworden. Jeder Terrorist ...«
Der Wachhabende im Korridor wurde sofort entlassen und in die Arrestanstalt gesetzt. An den Ermittler übergab Iwan Fjodorowitsch die Sache lieber nicht – wie auch immer, seine Macht war geschwunden, das spürte er.
»Meine Macht ist geschwunden«, sagte Iwan Fjodorowitsch zu seiner Frau, »jetzt kommen sie schon direkt in die Wohnung.«
Warpachowskijs und Süskinds Schicksal war schon vor der Lektüre des Briefs besiegelt. Sie überlegten sich nur eine Bestrafung: Iwan Fjodorowitsch eine strengere, Rydassowa – eine mildere. Es blieb bei Rydassowas Variante.
1962
Das Akademiemitglied
Es zeigte sich, daß das Gespräch mit dem Akademiemitglied sehr schwer zu drucken war. Nicht, daß das Akademiemitglied Unsinn geredet hätte, nein. Es war ein Akademiemitglied mit großem Namen, ein sehr erfahrener Freund aller möglichen Interviews, und gesprochen hatte es über ein ihm gut bekanntes Thema. Der Journalist, den man zum Gespräch geschickt hatte, war ausreichend qualifiziert. Er war ein guter Journalist, und vor zwanzig Jahren – ein sehr guter. Der Grund lag in der Schnelligkeit des wissenschaftlichen Fortschritts. Die Termine der Zeitschriften – Korrekturfahnen, Umbruch, Zeitplan – hinkten dem Fortgang der Wissenschaft hoffnungslos hinterher. Im Herbst des Jahres siebenundfünfzig, am vierten Oktober, wurde der Sputnik gestartet. Über die Vorbereitungen zu seinem Start wußte das Akademiemitglied dieses und jenes, und der Journalist wußte nichts. Doch dem Akademiemitglied wie dem Journalisten und dem Redakteur der Zeitschrift war klar, daß nach dem Start des Sputniks nicht nur die Information ausgeweitet, sondern auch der gesamte Ton des Artikels verändert werden muß. In seiner ersten Variante mußte der Artikel die Erwartung großer, exklusiver Ereignisse ausdrücken. Jetzt waren diese Ereignisse eingetreten. Darum schickte das Akademiemitglied einen Monat nach dem Gespräch aus einem Sanatorium in Jalta ausführliche Telegramme in die Redaktion, Telegramme auf eigene Kosten, mit bezahlter Rückantwort. Indem es den Schleier der kybernetischen Geheimnisse gekonnt ein wenig lüftete, war das Akademiemitglied bemüht, um jeden Preis »auf der Höhe« zu sein und zugleich nicht zuviel zu sagen. Die Redaktion, von derselben Sorge um Zeitgemäßheit und Rechtzeitigkeit erfüllt, nahm bis zum letzten Moment Korrekturen am Artikel des
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