Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)
achtkantig raus, ich will das Scheusal nicht hören«, tobte Iwan Fjodorowitsch in seiner persönlichen Loge.
Und der Sänger verschwand für immer aus Magadan.
Doch das war der letzte Sieg. Luzenko bereitete irgendwo etwas vor, das war Iwan Fjodorowitsch klar –, doch sich zu wehren fehlte ihm schon die Kraft.
»Zeit für die Pension«, dachte Iwan Fjodorowitsch, »wenn jetzt noch die Schatulle ...«
»Du wirst eine hohe Pension bekommen«, tröstete ihn seine Frau. »Und dann fahren wir. Vergessen alles. Alle Luzenkos, alle Warpachowskijs. Wir kaufen uns bei Moskau ein Häuschen mit Garten. Du wirst Vorsitzender der Osoaviachim und Aktivmitglied beim Bezirkssowjet, hm? Es ist schon Zeit, Zeit.«
»So eine Abscheulichkeit«, sagte Iwan Fjodorowitsch, »Vorsitzender der Osoaviachim? Br-r. Und du?«, fragte er plötzlich.
»Ich komme mit.«
Iwan Fjodorowitsch war klar, seine Frau würde zwei, drei Jahre warten, bis er stirbt.
»Luzenko! Säße wohl gern auf meinen Platz?«, dachte Iwan Fjodorowitsch. »So siehst du aus! Und wir arbeiten nicht richtig – ausbeuterische Förderung sozusagen, die Gold›ausbeute‹. Die Goldausbeute, lieber Genosse Luzenko, seit Kriegsbeginn, auf Befehl der Regierung, um unser Gold zu mehren, und Brüche, Schläge, Tode – das war so und wird so sein. Wir sind im Hohen Norden, nicht in Moskau. Das Gesetz ist die Tajga, wie die Ganoven sagen. An der Küste hat es Lebensmittel ins Meer gespült, dreitausend Mann sind gestorben. Nikischow hat den Lagervize Wyschnewezkij vor Gericht gestellt. Er bekam eine Haftstrafe. Wie sonst soll man handeln? Luzenko wird es uns lehren, ja?«
»Den Wagen!«
Iwan Fjodorowitschs schwarzer SIM schoß davon aus Magadan, wo Intrigen, Fangnetze gesponnen wurden – Iwan Fjodorowitsch fehlte die Kraft zu kämpfen.
Über Nacht blieb Iwan Fjodorowitsch im Direktionshaus. Das Haus war ein Werk Iwan Fjodorowitschs. Weder unter Bersin noch unter Pawlow hatte es an der Kolyma Direktionshäuser gegeben. Aber, räsonierte Iwan Fjodorowitsch, wenn es mir zusteht, dann soll es sein. Alle fünfhundert Kilometer wurde auf der riesigen Trasse ein Gebäude errichtet mit Bildern, Teppichen, Spiegeln, Bronze, mit einem hervorragenden Buffet, mit Koch, Wirtschaftsleiter und Wache, wo Iwan Fjodorowitsch, Direktor des Dalstroj, würdig würde übernachten können. Einmal im Jahr übernachtete er tatsächlich in seinen Häusern.
Jetzt eilte der schwarze SIM mit Iwan Fjodorowitsch nach Debin, zum Zentralkrankenhaus, wo das nächste Direktionshaus lag. Man hatte dort schon angerufen, den Krankenhaus-Chef geweckt und das gesamte Krankenhaus in »Gefechtsbereitschaft« versetzt. Überall wurde geputzt, gewaschen, gekratzt.
Womöglich wird Iwan Fjodorowitsch das Zentrale Häftlingskrankenhaus besichtigen, und wenn er Schmutz und Staub findet, dann wird es nicht gut enden mit dem Chef. Und der Chef beschuldigte die nachlässigen Feldscher und Ärzte der geheimen Sabotage – sie achteten angeblich schlecht auf Sauberkeit, damit Iwan Fjodorowitsch das sieht und den Chef entläßt. Diesen heimlichen Gedanken hegten angeblich die gefangenen Ärzte oder Feldscher, die ein Stäubchen auf dem Schreibtisch übersehen.
Alles im Krankenhaus zitterte, während der schwarze SIM Iwan Fjodorowitschs über die Kolyma-Trasse schoß.
Das Direktionshaus hatte nichts mit dem Krankenhaus zu tun, es lag einfach nebenan, fünfhundert Meter entfernt, aber diese Nachbarschaft reichte aus für allerlei Sorgen.
Iwan Fjodorowitsch hatte in den neun Jahren seines Lebens an der Kolyma kein einziges Mal das Zentrale Häftlingskrankenhaus besucht, ein Krankenhaus mit tausend Betten – kein einziges Mal. Aber alle waren auf der Hut, solange er im Direktionshaus frühstückte, zu Mittag oder zu Abend aß. Erst wenn der schwarze SIM auf die Trasse einbog, wurde »Entwarnung« gegeben.
Dieses Mal kam einfach keine »Entwarnung«. Er wohnt! Trinkt! Es sind Gäste angereist – so die Kunde aus dem Direktionshaus. Am dritten Tag näherte sich Iwan Fjodorowitschs SIM der Siedlung der Freien, wo die freien Ärzte und Feldscher, das Versorgungspersonal des Krankenhauses wohnten.
Alles erstarb. Und der Krankenhaus-Chef kletterte keuchend durch den Bach, der die Siedlung vom Krankenhaus trennte.
Iwan Fjodorowitsch stieg aus dem SIM. Sein Gesicht war aufgedunsen, abgespannt. Gierig steckte er sich eine Zigarette an.
»Hej, wie war noch ...«, Iwan Fjodorowitschs Finger bohrte sich in den Kittel des
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