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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Tiefe Zimmerfluchten öffneten sich in zwei Richtungen – geradeaus und nach rechts. Die Türen waren aus Glas, der untere Teil aus Mahagoni, und irgendwo ganz in der Tiefe tauchten vollkommen stumm menschliche Schatten auf. Golubew hatte nie in Wohnungen gelebt, wo die Zimmer in Fluchten angeordnet waren, aber er erinnerte sich an den Kinofilm »Die Maskerade« , an die Wohnung Arbenins. Das Akademiemitglied tauchte irgendwo in der Ferne auf und verschwand wieder, tauchte wieder auf und verschwand wieder, wie Arbenin im Film.
    Rechts im ersten großen Zimmer – auch von hier ging eine Zimmerflucht aus –, hell, mit Glastüren und venezianischen Fenstern, stand ein riesiger weißer Flügel. Der Flügel war geschlossen, und auf seinem Deckel waren, einander bedrängend, Porzellanfigürchen versammelt. Auf prachtvollen Untergestellen standen Vasen, Väschen, Statuen, Statuetten. An den Wänden hingen Teller und Brücken. Die zwei geräumigen Sessel hatten weiße Bezüge, passend zum Flügel. Irgendwo in der Tiefe hinter dem Glas bewegten sich menschliche Schatten.
    Golubew betrat das Arbeitszimmer des Akademiemitglieds. Das winzige Zimmerchen war dunkel und schmal und wirkte wie eine Kammer. Bücherregale an allen vier Wänden preßten das Zimmer zusammen. Der kleine, wie spielzeughafte, geschnitzte Mahagonischreibtisch schien sich unter der Last des großen Marmortintenfasses mit einem Deckel aus vergoldeter Bronze zu biegen. Drei Seiten der Bücherwände der Bibliothek waren für Nachschlagewerke reserviert, und die vierte für die eigenen Werke des Akademiemitglieds. Die Golubew bereits bekannten Biographien und Autobiographien waren hier ebenfalls zu finden. Ins selbe Zimmer gequetscht, stand engbrüstig ein kleiner schwarzer Flügel. An den Flügel gequetscht ein rundes Korrespondenztischchen, voll mit neuesten technischen Zeitschriften. Golubew legte den Zeitschriftenstapel auf den Flügel, zog einen Stuhl heran und legte Füller und zwei Bleistifte an den Rand des Tischs. Die Tür zum Vorzimmer hatte das Akademiemitglied offengelassen.
    »Wie in den Kabinetten ›dort‹«, dachte Golubew träge.
    Überall: auf dem schwarzen Flügel, auf den Bücherregalen – standen Krüglein, Porzellan- und Tonfigürchen. Golubew nahm einen Aschenbecher in Gestalt eines Mephistokopfes in die Hand. Irgendwann vor langer Zeit hatte er Porzellan und Glas gemocht, sich in der Eremitage von einem Wunder der menschlichen Hände verblüffen lassen – dem weißen Porzellanfigürchen »Der Schlaf«, bei dem das Gesicht eines im Sessel schlafenden Mannes mit einem hauchdünnen Tüchlein bedeckt ist, so als hätten Museumsmitarbeiter ein Stück Gaze über die Statue geworfen, damit das Figürchen nicht einstaubt –, aber das war keine Gaze, sondern ein hauchdünnes Porzellantüchlein. Und noch an viele andere Wunder der menschlichen Geschicklichkeit erinnerte sich Golubew Aber den Mephistokopf – schwer, provinziell – verstand er nicht. Von den Regalbrettern herab trompeteten tönerne Schafböcke, und an die Buchrücken gedrückt, wie an Bäume, saßen Hasen mit Löwenmäulern. Eine persönliche Erinnerung?
    Zwei gediegene Lederkoffer mit Aufklebern ausländischer Hotels standen an der Tür. Die Aufkleber waren zahlreich, die Koffer neu.
    Das Akademiemitglied erschien auf der Schwelle, fing Golubews Blick auf und erklärte alles sofort:
    »Ich bitte um Entschuldigung. Morgen fliege ich nach Griechenland. Bitte sehr.«
    Das Akademiemitglied zwängte sich zum Schreibtisch durch und nahm eine bequeme Haltung ein.
    »Ich habe über den Vorschlag Ihrer Redaktion nachgedacht«, sagte es und schaute zum Klappfensterchen: der Wind trug ein gelbes fünffingriges Ahornblatt ins Zimmer, das einer abgeschlagenen menschlichen Hand glich. Das Blatt kreiselte in der Luft und fiel auf den Boden. Das Akademiemitglied bückte sich, zerbröselte das trockene Blatt in den Fingern und warf es in das geflochtene Körbchen, das sich an ein Bein des Schreibtischs drückte.
    »Ich nehme ihn an«, fuhr das Akademiemitglied fort. »Ich habe drei Hauptpunkte meiner Antwort, meiner Ausführungen, meiner Auffassungen skizziert – nennen Sie es, wie Sie wollen.«
    Geschickt zog das Akademiemitglied ein winziges Blättchen Papier unter dem riesigen Tintenfaß hervor, auf dem krakelig einige Worte notiert waren.
    »Die erste Frage formuliere ich so ...«
    »Ich bitte Sie«, sagte Golubew, erbleichend, »etwas lauter zu sprechen. Leider höre ich schlecht. Ich

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