Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
Vom Netzwerk:
sich zeigt, hat Warpachowskij mit einer Jüdin angebändelt, einer Schauspielerin – er gibt ihr die Hauptrollen, sie ist Sängerin ... Und was ist das für ein Warpachowskij?«
    »Ein Faschist, er kommt aus der Spezialzone. Er ist Regisseur, hat bei Meyerhold inszeniert, jetzt fällt es mir wieder ein, hier habe ich es aufgeschrieben.« Rydassowa blätterte in ihrer Kartothek. Diese »Kartothek« hatte ihr Iwan Fjodorowitsch beigebracht. »Irgendeine ›Kameliendame‹. Und im Theater der Satire die › Geschichte der Stadt Dummhausen ‹. Seit 1937 an der Kolyma. Na, siehst du. Und Kosin ist ein verläßlicher Mensch. Päderast und kein Faschist.«
    »Und was hat Warpachowskij im Theater inszeniert?«
    »Den ›Raub der Helena‹. Wir haben es gesehen. Erinnerst du dich, du hast noch gelacht. Wir haben für den Bühnenbildner noch für die vorzeitige Entlassung unterschrieben.«
    »Ja ja, ich entsinne mich. Und der ›Raub der Helena‹ ist von einem ausländischen Autor.«
    »Irgendein Franzose. Hier habe ich es aufgeschrieben.«
    »Schon gut, schon gut, alles klar. Schick diesen Warpachowskij mit der Reisebrigade los, und seine Frau – wie heißt sie?«
    »Süskind.«
    »Die Jüdin – laß zu Hause. Bei ihnen ist ja die Liebe kurz, anders als bei uns«, scherzte Iwan Fjodorowitsch leutselig.
    Iwan Fjodorowitsch bereitete für seine junge Frau eine große Überraschung vor. Rydassowa war eine Freundin von Nippsachen, allen möglichen seltenen Souvenirs. Schon etwa zwei Jahre arbeitete in der Nähe von Magadan ein Häftling – ein berühmter Beinschnitzer –, aus dem Stoßzahn eines Mammuts drechselte er eine komplizierte Schatulle für Iwan Fjodorowitschs junge Frau. Anfangs wurde dieser Beinschnitzer als Kranker geführt, und später übernahm man ihn in eine Werkstatt, damit sich der Meister eine Anrechnung erarbeiten konnte. Und er erhielt die Anrechnung, drei Tage für einen – für Übererfüllung des Plans in den Uranminen der Kolyma, wo die Anrechnung wegen der Schädlichkeit höher ist als beim Gold, höher als beim »ersten Metall«.
    Die Fertigung der Schatulle näherte sich dem Ende. Morgen ist diese Plackerei mit Wallace vorbei, und es geht zurück nach Magadan.
    Rydassowa verfügte die Aufnahme Warpachowskijs in die Reisebrigade, leitete die Anzeige des Sängers weiter in die Bezirksabteilung des Ministeriums für Innere Angelegenheiten und machte sich Gedanken. Stoff zum Nachdenken gab es genug – Iwan Fjodorowitsch wurde alt und hatte zu trinken angefangen. Viele neue, junge Chefs waren angekommen. Iwan Fjodorowitsch haßte und fürchtete sie. Sein neuer Stellvertreter Luzenko hatte bei einer Rundreise durch die Kolyma in allen Krankenhäusern notiert – wer hat Verletzungen nach Schlägen. Es waren nicht wenige. Seine Denunzianten hatten Iwan Fjodorowitsch natürlich von Luzenkos Aufzeichnungen berichtet.
    Luzenko hielt einen Vortrag vor dem Wirtschaftsaktiv.
    »Wenn der Chef der Verwaltung unflätig flucht, was soll dann der Minenchef machen? Der Einsatzleiter? Der Aufseher? Was soll sich in den Bergwerken abspielen? Ich verlese Ihnen die – offensichtlich zu niedrig angesetzten – Zahlen, die ich in Krankenhäusern bei Befragungen über Brüche, über Schläge erhalten habe.«
    Nach Luzenkos Vortrag hielt Iwan Fjodorowitsch eine große Rede.
    »Viele Neulinge«, sagte Iwan Fjodorowitsch, »sind schon zu uns gekommen, aber alle haben sich mit der Zeit davon überzeugt, daß hier besondere, Kolyma-Bedingungen herrschen und man das wissen muß.« Iwan Fjodorowitsch hoffe, daß die jungen Genossen das verstehen und gemeinsam mit uns arbeiten werden.
    Der letzte Satz in Luzenkos Schlußrede war:
    »Wir sind zum Arbeiten hergekommen, und wir werden arbeiten, doch wir werden nicht so arbeiten, wie es Iwan Fjodorowitsch sagt, sondern so, wie die Partei es sagt.«
    Alle, das gesamte Wirtschaftsaktiv, die gesamte Kolyma begriff, daß die Tage Iwan Fjodorowitschs gezählt waren. So dachte auch Rydassowa. Aber der Alte kannte das Leben besser als irgendein Luzenko, ein Kommissar hatte ihm, Iwan Fjodorowitsch, noch gefehlt. Iwan Fjodorowitsch schrieb einen Brief. Und Luzenko, sein Stellvertreter, Chef der Politabteilung des Dalstroj, Held des Vaterländischen Krieges – verschwand wie »von der Kuh mit der Zunge aufgeleckt«. Er wurde eilig irgendwohin versetzt. Iwan Fjodorowitsch betrank sich zu Ehren seines Sieges und randalierte betrunken im Theater von Magadan.
    »Schmeißt diesen Sänger

Weitere Kostenlose Bücher