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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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ungeeignet, kann jedoch gereinigt und für den Lagerkessel verkauft werden.«
    Und dieses Protokoll über das Ferkel hatte Miller am Tag vor dem Gespräch über Kosmopolitismus unterschrieben. Das ist schlichte Chronologie, das, was im Gedächtnis bleibt, als lebenswichtig und hervorgehoben.
    Nach dem Gespräch mit dem Untersuchungsführer ging Miller nicht nach Hause, sondern in die Zone, zog den Kittel an, öffnete sein Arztzimmer und den Schrank, nahm eine Spritze und injizierte sich Morphiumlösung in die Vene.
    Wozu diese ganze Erzählung – von Selbstmord begehenden Ärzten, vom in der Kloake untergegangenen Ferkel, von der grenzenlosen Freude der Gefangenen? Nun, dazu:
    Für uns – für mich und Hunderttausende andere, die im Lager nicht als Ärzte gearbeitet hatten, war die Zeit nach dem Lager das reine Glück, jeden Tag, jede Stunde. Zu fürchterlich war die Hölle gewesen, die hinter uns lag, und kein Leidensweg durch Spezial- und Kaderabteilungen, kein Umherwandern, keine Willkür von Artikel neununddreißig des Paßsystems konnten uns dieses Empfinden von Glück und Freude nehmen – im Vergleich zu dem, was wir in unserem Gestern und Vorgestern gesehen hatten.
    Für einen Teilnehmer des Feldscherlehrgangs war es ein großes Glück, zum Praktikum in die Dritte Innere Abteilung zu kommen. Die Dritte Abteilung leitete Nina Semjonowna – ehemalige Dozentin am Lehrstuhl für Innere Diagnostik an der Medizinischen Hochschule in Charkow
    Nur zwei Personen, zwei von dreißig Teilnehmern konnten ein Monatspraktikum in der Dritten Inneren Abteilung machen.
    Die Praxis, die lebendige Beobachtung der Kranken – ach, wie unendlich weit ist das vom Buch, vom »Lehrgang«. Mediziner wird man nicht aus Büchern – weder Feldscher, noch Arzt.
    In die Dritte Abteilung kommen nur zwei Männer – Bokis und ich.
    »Zwei Männer? Warum?«
    Nina Semjonowna war eine bucklige grünäugige alte Frau, grauhaarig, faltig und böse.
    »Zwei Männer? Warum?«
    »Nina Semjonowna haßt Frauen.«
    »Sie haßt sie?«
    »Na, sie mag sie nicht. Mit einem Wort, zwei Männer. Ihr habt Glück.«
    Die Klassenälteste des Lehrgangs, Musa Dmitrijewna, führte Bokis und mich vor Nina Semjonownas grüne Augen.
    »Sind Sie schon lange hier?«
    »Seit siebenunddreißig.«
    »Und ich seit achtunddreißig. Zuerst war ich in ›Elgen‹. Dreihundert Entbindungen habe ich dort betreut, vor ›Elgen‹ hatte ich nie Entbindungen betreut. Dann der Krieg – mein Mann ist in Kiew umgekommen. Und zwei Kinder. Jungen. Eine Bombe.«
    Um mich herum waren mehr Menschen gestorben als in jeder Schlacht des Krieges. Gestorben ohne jeden Krieg, vor jedem Krieg. Und dennoch. Es gibt solches und solches Leid, genauso wie Glück.
    Nina Semjonowna setzte sich an ein Krankenbett und schob die Decke beiseite.
    »Nun, fangen wir an. Nehmen Sie das Stethoskop in die Hand, setzen Sie es auf die Brust des Kranken und hören Sie ... Die Franzosen hören durch ein Handtuch. Aber das Stethoskop ist das Sicherste, das Verläßlichste. Ich bin keine Anhängerin der Phon-Endoskope, der große Herr benutzt das Phon-Endoskop – er ist zu faul, sich zum Kranken herunterzubeugen. Das Stethoskop ... Das, was ich Ihnen zeige, werden Sie in keinem Lehrbuch finden. Hören Sie.«
    Das hautüberspannte Skelett folgte ergeben Nina Sergejewnas Kommando. Es folgte auch meinen Kommandos.
    »Hören Sie diesen Schachtelton, diese dumpfe Schattierung. Merken Sie ihn sich fürs ganze Leben, genauso wie diese Knochen, diese trockene Haut, diesen Glanz in den Augen. Merken Sie sich das?«
    »Ja. Fürs ganze Leben.«
    »Erinnern Sie sich, wie der Ton gestern war? Hören Sie den Kranken wieder ab. Der Ton hat sich geändert. Beschreiben Sie all das, schreiben Sie es in die Krankengeschichte. Furchtlos. Mit fester Hand.«
    Im Zimmer lagen zwanzig Kranke.
    »Interessante Kranke gibt es im Moment nicht. Das, was Sie gesehen haben, ist Hunger, Hunger, Hunger ... Setzen Sie sich von links. Hierher, auf meinen Platz. Nehmen Sie den Kranken mit dem linken Arm um die Schultern. Fester, fester. Was ist zu hören?«
    Ich berichtete.
    »Gut, Zeit zum Mittagessen. Gehen Sie, Sie essen in der Ausgabestelle.«
    Die Essensverteilerin Schura, rund geworden, schenkte uns mit großzügiger Hand das »Doktoren«essen aus. Die dunklen Augen der Hauswirtschaftsschwester lächelten mich an, aber mehr noch sich selbst, ins eigene Innere.
    »Was ist mit Ihnen, Olga Tomassowna?«
    »A-ah, Sie haben es gemerkt? Ich denke

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