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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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fröhlich. »Ich wünsche Ihnen Glück und Erfolg. Achten Sie auf Ihre Gesundheit. Tja«, Andrejew lächelte irgendwie besonders, gütig. »Tja«, sagte er und zupfte mich leise am Hemdkragen. »Sie
können
im Gefängnis sitzen, Sie können es. Das sage ich Ihnen von ganzem Herzen.«
    Andrejews Lob war das beste, das wichtigste, das bedeutsamste Lob meines Lebens. Ein prophetisches Lob.
    Notiz der Zeitschrift »Katorga
und Verbannung« : Andrejew Aleksandr Georgijewitsch, geboren 1882. In der revolutionären Bewegung seit 1905, Mitglied der Studenten-Organisation der Sozial-Revolutionäre sowie der Partei der SR in Odessa; Mitglied der Partei der SR in Minsk. 1905-06 Mitglied der Parteikomitees der SR in Tschernigow und Odessa; des Parteikomitees der SR in Sewastopol; 1907 Mitglied des Südlichen Gebietskomitees der Partei der SR; 1908 in Taschkent im Kampftrupp beim ZK der Partei der SR. Verurteilt 1910 in Odessa vom Bezirksmilitärgericht zu einem Jahr Festungshaft, 1913 in Taschkent vom Militärgericht Turkestans nach Artikel 102 zu sechs Jahren
katorga
. Verbüßte die
katorga
in den Behelfs-Zuchthäusern Pskow und Wladimir. 10 Jahre und 3 Monate in Haft (Abteilung Krim).
    Andrejew hatte eine Tochter – Nina.
    1964

Der Nachkomme des Dekabristen
    Über den ersten Husaren , den berühmten Dekabristen, wurden viele Bücher geschrieben. Puschkin schrieb im vernichteten Kapitel des »Eugen Onegin« so: »Ein Freund des Mars, des Bacchus und der Venus ...«
    Ein Ritter, ein kluger Kopf, ein Mensch von unermeßlichem Wissen, bei dem Worte und Taten übereinstimmten. Und was waren das für große Taten!
    Über den zweiten Husaren, den Husaren-Nachkommen, erzähle ich alles, was ich weiß.
    In Kadyktschan, wo wir – hungrig und kraftlos – an der ägyptischen Kreiswinde im Kreis liefen und uns blutige Schwielen an der Brust scheuerten, um aus dem Fallort Förderwagen mit Gestein zu ziehen, wurde ein Stollen »geschnitten« – eben jener Stollen, der heute an der ganzen Kolyma bekannt ist. Eine Fronarbeit – ich hatte Gelegenheit, sie zu sehen und selbst zu erleben.
    Der Winter 1940/41 kam heran, der schneelose, böse Kolyma-Winter. Die Kälte zog die Muskeln zusammen, legte sich wie ein Reif um die Schläfen. In den löchrigen Segeltuchzelten, in denen wir im Sommer wohnten, wurden eiserne Öfen aufgestellt. Doch mit diesen Öfen wurde die freie Luft geheizt.
    Die erfinderische Leitung bereitete die Menschen auf den Winter vor. Im Innern des Zeltes wurde ein zweites, kleineres Gerüst gebaut – mit einer Luftschicht von vielleicht zehn Zentimetern. Dieses Gerüst wurde (bis auf das Dach) mit Dachpappe und Ruberoid verkleidet, und es entstand eine Art Doppelzelt – wenig wärmer als das Segeltuchzelt.
    Schon die ersten Übernachtungen in diesem Zelt zeigten, daß das der Tod war, der schnelle Tod. Man mußte weg von hier. Aber wie? Wer wird helfen? Elf Kilometer weiter war ein großes Lager – Arkagala, wo die Bergleute arbeiteten. Unsere Außenstelle war ein Abschnitt dieses Lagers. Dorthin, dorthin – nach Arkagala!
    Aber wie?
    Die Häftlingstradition verlangt, sich in solchen Fällen zunächst und zuallererst an den Arzt zu wenden. In Kadyktschan gab es einen Feldscher-Punkt, und dort arbeitete als »Knochenklempner« irgendein abgebrochener, ein ehemaliger Student der Moskauer Medizinischen Hochschule – so hieß es in unserem Zelt.
    Es erfordert eine große Willensanstrengung, um nach dem Arbeitstag die Kraft zu finden, aufzustehen und in die Ambulanz zu gehen, in die Sprechstunde. Kleider und Schuhe anziehen braucht man natürlich nicht – du trägst alles am Körper von Schwitzbad zu Schwitzbad –, doch die Kräfte fehlten. Es war schade, die Erholung für diese »Sprechstunde« herzugeben, die womöglich mit Verhöhnung endet und vielleicht mit Schlägen (auch das kam vor). Vor allem aber – das Aussichtslose, der zweifelhafte Erfolg. Doch auf der Suche nach einem Ausweg darf man auch die kleinste Chance nicht verschmähen – das sagte mir mein Körper, die gequälten Muskeln, nicht die Erfahrung, nicht die Vernunft.
    Der Wille gehorchte nur dem Instinkt – wie bei den Tieren.
    Auf der anderen Straßenseite, unserem Zelt gegenüber, stand eine kleine Hütte – Unterstand für die Schürftrupps, die Suchmannschaften, und manchmal auch für die »Geheimposten« der Operativgruppe, die endlosen Tajgapatrouillen.
    Die Geologen waren längst gegangen, und die Hütte hatte man in ein Ambulatorium

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