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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Doch der Krankenhaus-Chef war ein Kolyma-Veteran und wußte die Energie solcher Leute wie Krist zu schätzen. Ihm war klar, daß Krist sehr viel in seine Arbeit hineinlegen wird und hineinlegt. Und Krist wußte, daß seinem Chef das klar war.
    Und so schmolz die Haftzeit allmählich dahin wie das Wintereis in einem Land, in dem kein warmer Frühlingsregen das Leben verwandelt – wo es nur die langsame Zerstörungsarbeit der mal kalten, mal sengenden Sonne gibt. Die Haftzeit schmolz dahin wie Eis, sie schrumpfte. Das Ende der Haftzeit nahte.
    Das Schreckliche rückte an Krist heran. Seine gesamte Zukunft würde vergiftet sein von dieser wichtigen Bescheinigung über Vorstrafen, über den Artikel, über das Kürzel »KRTD«. Dieses Kürzel würde Krist für alle Zukunft den Weg versperren, fürs ganze Leben und an jedem Ort des Landes, bei jeder Arbeit. Dieser Buchstabe würde ihm nicht nur den Paß nehmen, sondern auch für ewige Zeiten verhindern, daß er Arbeit findet und die Kolyma verläßt. Krist verfolgte aufmerksam die Entlassung jener wenigen, die wie er, Krist, ihre Entlassung erlebten und in ihrem Moskauer Urteil, in ihrem Lagerpaß – dem Formular –, in ihrer Lagerakte einmal das Brandmal mit dem Buchstaben »T« hatten.
    Krist versuchte sich die Stärke dieser trägen Kraft vorzustellen, die die Menschen lenkt, und sie nüchtern zu bewerten.
    Im besten Fall wird man ihn nach der Haftzeit an seiner Arbeitsstelle lassen, an seinem alten Platz. Man wird ihn nicht weglassen von der Kolyma. Ihn hier behalten bis zum ersten Signal, zum ersten Horn, das zur Hetzjagd bläst ...
    Was tun? Das einfachste vielleicht – der Strick ... So haben viele dieses Problem gelöst. Nein! Krist wird kämpfen bis zum Schluß. Kämpfen wie ein Tier, kämpfen, wie man es ihn gelehrt hat in der vieljährigen Hetzjagd des Staates auf den Menschen.
    Viele Nächte lag Krist schlaflos und dachte an seine baldige, unabwendbare Entlassung. Er verfluchte nicht, er hatte keine Angst. Krist suchte.
    Die Erleuchtung kam, wie immer, plötzlich. Plötzlich, doch nach schrecklicher Anspannung – Anspannung nicht des Geistes, nicht der Kräfte des Herzens, sondern von Krists gesamtem Wesen. Sie kam, wie die besten Gedichte, die besten Zeilen in einer Erzählung kommen. Man denkt Tag und Nacht an sie, ohne Ergebnis, und dann kommt die Erleuchtung als Freude über das treffende Wort, als Freude über die Lösung. Nicht als Freude der Hoffnung – zu viele Enttäuschungen, Fehler und Nackenschläge hatte es auf Krists Weg gegeben.
    Doch die Erleuchtung kam. Lida ...
    Krist arbeitete schon lange in diesem Krankenhaus. Seine gleichbleibende Hingabe an die Belange des Krankenhauses, seine Energie, sein beständiges Eingreifen in alle Krankenhausangelegenheiten – immer zum Nutzen des Krankenhauses! – hatten dem Häftling Krist eine besondere Position verschafft. Der Feldscher Krist war nicht Leiter der Aufnahme, das war eine freie Tätigkeit. Dieser Leiter war unbekannt wer, der Stellenplan war immer ein Rebus, das allmonatlich zwei Personen lösten – der Krankenhaus-Chef und der Hauptbuchhalter.
    Sein ganzes bewußtes Leben lang hatte Krist die faktische Macht geliebt, nicht die äußerliche Ehre. Auch an der Schriftstellerei hatte Krist vor Zeiten – in jungen Jahren – nicht der Ruhm verlockt, nicht die Bekanntheit, sondern das Bewußtsein der eigenen Kraft und der Fähigkeit, etwas Neues, Eigenes zu schreiben, etwas hervorzubringen, das niemand anders hervorbringen kann.
    Die juristischen Herren der Aufnahme waren die diensthabenden Ärzte, doch das waren dreißig, und die Kontinuität: der Anordnungen, der laufenden Lager»politik« und der übrigen Gesetze der Welt der Häftlinge und ihrer Herren – bewahrte nur Krists Gedächtnis. Diese Dinge sind delikat und nicht jedem zugänglich. Aber sie erfordern Beachtung und Erfüllung, und die diensthabenden Ärzte wußten das genau. Praktisch lag die Entscheidung über die Hospitalisierung jedes Kranken bei Krist. Die Ärzte wußten das, hatten sogar, natürlich mündlich, direkte Anweisung ihres Chefs.
    Vor etwa zwei Jahren hatte der diensthabende Arzt, selbst Häftling, Krist zur Seite genommen ...
    »Hier ist eine junge Frau.«
    »Kommt nicht in Frage.«
    »Warte. Ich kenne sie selbst nicht. Hier geht es um folgendes.«
    Der Arzt flüsterte Krist grobe und häßliche Worte ins Ohr. Der Kern der Sache war, daß der Chef einer Lagereinrichtung, einer Lagerabteilung seiner Sekretärin

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