Linksträger: Roman (German Edition)
immer bin ich es.
»Keine Ahnung. Woher soll ich das wissen, wenn ich es doch nicht war.«
»Stimmt. Ich wollte ja auch nur hören, ob du es warst, der angerufen hat.«
»Und das haben wir ja auch geklärt, nicht wahr?«
»Ja.«
Wieder folgt eine Sprachpause, die ich zu beenden versuche.
»Also …«
»Also, warst du es nicht. Ob es Herr Randolf von nebenan war? Der ist ja nicht mehr so gut zu Fuß … Du kennst ihn ja.«
»Nein, ich kenne ihn nicht.«
Ich wohne seit mehr als achtzehn Jahren nicht mehr in der kleinen Gemeinde meiner Eltern. Und mein Interesse an ihren nachbarschaftlichen Beziehungen ist daher äußerst begrenzt.
»Nicht? Du kennst doch Herrn Randolf. Der nette ältere Herr im Parterre von nebenan, der von einem Tag auf den anderen so ein Ziehen in der Leiste hatte …«
»Mutti.«
»… und dann kam raus, dass er es schlimm an der Prostata hat. Hast du dich eigentlich mal an deiner Prostata untersuchen lassen, Robbi? Man hört ja, dass das heute sogar schon ganz junge Leute …«
»Mutti, ich muss jetzt Schluss machen«, versuche ich, das Gespräch zu einem Ende zu bringen.
»Na gut, sonst weiß ich jetzt auch nichts Neues …«
Vorsicht, Robert, die Endsatz-Wortfalle wird aufgestellt.
»Ich auch nicht.«
»Ob ich mal bei ihm klingeln soll?«
»Bei wem?«
»Na, bei Herrn Randolf.«
Ich muss die Reißleine ziehen. Den Notausstieg wählen.
»O Mutti, es klingelt gerade, ich muss Schluss machen.«
»Ja, aber … wenn seine Prostata vielleicht doch wieder …«
»Ich muss weg. Tschüss.«
Wieder wird der Hörer aufgelegt. Doch kaum dass ich mich umgedreht habe, kommt das, was kommen musste.
Rrrrring …
Das ist der Tropfen, der das sowieso schon immer randvolle Fass zwischen meiner Mutter und mir zum Überlaufen bringt. Ich reiße den Hörer an mein Ohr und fauche in die Sprechmuschel: »Ich. Kenne. Keinen. Herrn. Randolf! Und. Ich. Hab’s. Auch. Nicht. An. Der. Prostata.«
Stille.
Das hat wohl gesessen.
Dann brülle ich weiter in den Hörer. »Und ich habe auch nicht in den letzten zwei Sekunden bei dir angerufen. Hörst du, was ich sage!?«
»Äh, ja. Das habe ich. Entschuldigung, ich glaube, ich habe mich da verwählt.«
Ups. Die Stimme klingt circa dreißig Jahre jünger und definitiv nicht nach meiner Mutter, und sie ist allem Anschein nach auch nicht an meiner Prostata interessiert.
»Ähem …« Ich räuspere mich. »Mit wem spreche ich da gerade?«
»Hier ist Nora. Ich wollte mit meiner Cousine Jana sprechen.«
»Nora?«
»Ja, Nora. Janas Cousine.«
»Die Gurke?«
»Äh, ja, Nora Gurke.«
»Sorry, das meinte ich jetzt nicht böse und mein Geschrei am Hörer übrigens auch nicht. Ich dachte, meine Mutter sei dran. Also, ich meine …«
»Oh, verstehe. Na ja, jeder hat so seine eigene Art, mit seiner Mutter zu telefonieren.«
Janas Cousine denkt zu Recht, dass ich nicht mehr alle Latten am Zaun habe.
»Es war nur, weil … Das ist so eine Art Spiel zwischen meiner Mutter und mir.«
»Schon in Ordnung. Ist sie denn jetzt da?«
»Meine Mutter?«
»Nein, Jana.«
»Ach so, ja, natürlich. Also, ich meine, nein, Jana wohnt zwar hier, ist aber gerade nicht zu Hause. Kann ich denn vielleicht irgendwie weiterhelfen?«
»Vielleicht … Ach, was soll’s. Warum eigentlich nicht? Mein Freund und ich heiraten demnächst. Vielleicht hat Jana dir davon erzählt.«
Mir schießen Janas Fluchsalven ins Gedächtnis.
»Ja, Jana erwähnte so was in der Richtung.«
»Und dafür wollten wir unser Hochzeitsoutfit kaufen gehen. Kleid und einen Anzug für Falco. Allerdings findet man hier in Apolda nichts Brauchbares, und die Zeit drängt doch so. Und da wollten wir fragen, ob Falco und ich nicht für ein paar Tage nach Frankfurt kommen könnten.«
»Wann denn?«
»Wie wär’s mit Freitag?«
»Äh, das wäre ja schon morgen?«
»Ja, wir haben beide frei, und vielleicht könnt ihr ja auch einen Tag freinehmen …«
Ich überlege wohl einen Moment zu lange, und schon schießt Nora einen Satz nach.
»Wem du es heute kannst besorgen, den vertröste nicht auf morgen, nicht wahr?«, sagt sie.
Ich glaube, mich verhört zu haben. Wem du es heute kannst besorgen …? Doch noch bevor ich nachfragen kann, erzählt Nora schon weiter.
»Jedenfalls habe ich Jana eh schon seit Jahren nicht mehr gesehen und würde mich so freuen, sie mal wieder zu treffen. Nun, was sagst du?«
Mir ist klar, dass Jana nicht gerade einen Nora-Fanklub gründen würde. Aber für ein Wochenende wird
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