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Linksträger: Roman (German Edition)

Linksträger: Roman (German Edition)

Titel: Linksträger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Boltz
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Erfrierungen ankämpften. Es gibt gewisse Parallelen, und ich entscheide, dass ich es ihnen gleichtun muss. Die Herren Soldaten hatten ein einfaches, aber sehr zweckdienliches Hilfsmittel, das mir schon einmal in meinem Leben sehr hilfreich war: Eigenurin.
    Also öffne ich mit klammen Fingern meine Hose, drehe mich nach neugierigen Blicken um und atme aus, als ich niemanden entdecke. Zu meiner Verwunderung dauert es nicht allzu lange, bis sich der erste zarte Urinstrahl mit vom Körper vorgewärmten sechsunddreißig Grad über meine Hände ergießt.
    »Ahhh«, stöhne ich entspannt auf, als sich die Wärme verteilt. Nachdem der erste Ekel überwunden ist und ich inmitten einer dampfenden Urinwolke nur noch schemenhaft meine eigenen Umrisse erkennen kann, stellt sich tatsächlich mehr und mehr der gewünschte Effekt ein. Vorsichtig bewege ich meine Fingerglieder wie bei einem Klavierkonzert. Unfassbar! Ich wedele die Rauchschwaden beiseite, wische mir die Finger an der Jeans ab und verstaue meinen Retter wieder sicher im Heizungslager.
    Weiter geht’s. Und wie!
    Der Jägerzaun bereitet mir ebenso wenig Mühe wie die zahlreichen Bodendecker des Vorgartens. Federnd überwinde ich nun mit wiedergewonnener Leichtigkeit beides. Erst die Rosenhecke, die ich fälschlicherweise für einen hochgewachsenen Bambusstrauch halte, bremst meinen federnden Schritt deutlich ab. Gut ein Dutzend der widerborstigen Dornen hat sich in meinem Beinkleid verfangen und hält mich wie eine Ansammlung von Boyband-Groupies fest. Als ich mich mit wilden Drehungen daraus zu befreien versuche, rammen sich die fiesen Dornen nur noch tiefer in meine Oberschenkel und Waden.
    »Au, verdammt«, fluche ich und versuche mit meinen beweglichen Fingern vorsichtig, die Dornen aus meinem Hosenstoff zu ziehen, als sich plötzlich der Vorgarten erhellt. Ich drehe mich um und entdecke vor dem Nachbarhaus die Umrisse einer Frau, die drohend eine Schaufel in die Höhe reckt.
    »Hallo, ist da wer?«
    O nein. Nicht auch noch das. Tante Gerti wohnt dort im Haus. Gerade sie und ihr Hang zur Übertreibung. Seit dem Filinchen-Fiasko habe ich ohnehin schlechte Karten bei ihr. Sie steht mit einer Schaufel im Anschlag in der Haustür und schaut in den Vorgarten. Ich versuche, mich in den Rosensträuchern zu verstecken, was mir weitere dreitausend Dornen in den Körper treibt. Ich unterdrücke den Schmerzensschrei, denn nun tanzt auch noch der Lichtkegel einer starken Taschenlampe durch die Sträucher um mich herum.
    »Sie, Herr Einbrecher, nur damit Sie es wissen. Ich habe die Polizei gerufen. Kommen Sie mit erhobenen Händen raus. Das ist Ihre letzte Chance. Aber ich warne Sie, ich bin vorbereitet. Ich zähle bis drei. Eins …«
    Ich ducke mich noch tiefer und schaffe es, dem Licht weiterhin auszuweichen. Mit ihrem grauen Star kann sie mich unmöglich in der Hecke ausmachen.
    »… zwei …«
    Wahrscheinlich ist das nur eine leere Drohung, und sie wird gleich wieder verschwinden, wenn sie nichts erkennt.
    »… drei.«

29 Verblendung
    D ie Wucht ist unglaublich und von geradezu biblischen Ausmaßen. Ich habe die Rechnung ohne Gertis langjährige NVA -Erfahrung gemacht. Denn Tantchen scheint in einen Guerillakrieg ziehen zu wollen. Von einer Sekunde auf die andere wird es plötzlich taghell im Garten. In der Straße. In ganz Pfiffelbach. Mehr noch. Es scheint, dass die Sonne soeben in diesem Thüringer Garten zur Welt gebracht wurde. Von dem grellen Licht geblendet schreie ich auf und katapultiere mich mit einem einzigen beherzten Sprung aus der Rosenhecke heraus, winde mich vor Schmerz und laufe los. Ich sehe nicht, wohin, denn ich kann rein gar nichts mehr sehen. Ich laufe einfach los. Erst ein heftig ausgeführter Schlag, der sich kreisförmig und schaufelartig um meine Magengegend ausbreitet, bremst mich, und ich sinke zu Boden.
    »Bleiben Sie liegen und bewegen Sie sich nicht.« Tante Gertis Stimme. Ich wage keine weiteren Fluchtversuche. »Das war nur eine Blendgranate. Wenn Sie Glück haben, wird sich Ihr Augenlicht in den nächsten vierundzwanzig Stunden nahezu wiederherstellen. Bleiben Sie also jetzt einfach liegen, sonst muss ich Ihnen noch eine mit der Schaufel verpassen. Die Polizei kommt jeden Moment.«
    Die Polizei ist gerade mein geringstes Problem. Monster-Titte hat eine Blendgranate geworfen. Ich glaube, ich spinne! Ich winde mich am Boden und winsele.
    »Ich bin blind. Hilfe.«
    Von dem ganzen Rummel und dem urplötzlichen Sonnenaufgang im Holunderweg

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