Lippels Traum (German Edition)
Lippel.
»Frankistan? Gebe Allah, dass ihre Karawane heil von dort zurückkommt!«, rief der Alte.
»So sei es«, sagte Lippel und nickte.
»Arme Kinder! Ganz ohne Eltern!«, sagte da eine weibliche Stimme hinter ihnen.
Die Kinder wandten sich um.
Eine rundliche Frau mit großen Silberohrringen kam aus einer der Türen. Sie war in weite, orientalische Gewänder gehüllt und trug bestimmt fünf Unterröcke und Röcke übereinander, was sie nicht gerade schlank aussehen ließ. In der Hand hielt sie einen hohen Tonkrug.
»Ich habe alles gehört«, sagte sie freundlich. »Verzeiht meinem Mann, er ist manchmal ein bisschen streng. Esst erst einmal von meinem eingelegten Obst, dann wird man weitersehn!«
Sie fasste ohne weitere Umstände mit ihren dicken Fingern in den Krug, holte in Honig eingelegte Feigen und Rosinen heraus und drückte jedem Kind einige davon in die Hand.
»Schmeckt sehr gut! Danke!«, sagte Lippel, nachdem er eine Honigrosine in den Mund gesteckt hatte.
Der alte Mann blickte seine Frau vorwurfsvoll an und sagte zu ihr: »Erstens: Wieso mischst du dich einfach in mein Gespräch ein? Das ist unhöflich. Zweitens: Woher weißt du überhaupt, dass sie die Übernachtung zahlen können?«
»Ach, du mit deinem ›erstens, zweitens, drittens‹!«, sagte die Frau lachend und leckte sich den Honig von den Fingern. »Erstens mische ich mich ins Gespräch ein, weil ich zufällig alles gehört habe. Zweitens würden diese Kinder nicht in eine Herberge gehen, wenn sie kein Geld zum Übernachten hätten. Und drittens sehe ich, dass das Mädchen einen Armreif aus Gold mit einem roten Stein trägt, der so viel wert ist, dass der Schneider Labakan mit all seiner Verwandtschaft dafür ein ganzes Jahr hier übernachten könnte. Und jeder weiß, dass Labakan die meisten Verwandten von allen hier im Viertel hat!«
Erschrocken schob Hamide ihren Armreif unter den Ärmel ihrer Bluse zurück.
Die Frau lachte. »Jetzt kannst du ihn nicht mehr verbergen! Doch keine Angst, ich werde dich schon nicht bestehlen!«
Verlegen sagte Hamide: »Es ist leider nicht so, wie Ihr denkt, verehrungswürdige Frau. Wir haben nämlich wirklich kein Geld.«
»Da hörst du es!«, rief der Mann triumphierend. »Kein Geld! Nicht einen Dinar! Es ist genauso, wie ich dachte.«
»Aber morgen oder übermorgen können wir Euch gewiss bezahlen. Sogar reichlich. Mehr, als Ihr verlangt«, sagte Hamide beschwörend.
»Ohne Geld keine Übernachtung!«, sagte der Mann. »Wer bürgt mir dafür, dass ihr euer Versprechen haltet? Vielleicht kommt die Karawane eurer Eltern nicht zurück. Es gibt Räuber und wilde Tiere unterwegs!«
»Wie kannst du nur so etwas sagen! Willst du ihnen Angst machen?«, sagte die Frau unwillig zu ihrem Mann. Dann wandte sie sich an die Kinder: »Ihr müsst uns verstehn. Wir leben von unsrer Herberge. Wir können euch nicht umsonst übernachten lassen.«
»Wir werden Euch das Geld bringen. Ganz bestimmt«, versprach Hamide.
»Ich weiß einen Ausweg«, sagte die dicke Frau. »Du gibst mir deinen Armreif als Pfand. Ich werde ihn behalten, bis eure Rechnung bezahlt ist. Dann bekommst du ihn zurück.«
»Nein, das – es geht nicht«, sagte Hamide. »Den Armreif kann ich nicht hergeben.«
»Dann kann ich dich auch nicht beherbergen. Tut uns leid, liebe Kinder«, sagte die Frau. »Ich verschenke gerne ein paar Früchte, aber keine Übernachtung.«
»Dann müssen wir wohl gehen«, sagte Hamide traurig.
Und die Kinder gingen langsam hinaus auf die Gasse. Sogar Muck ließ den Kopf hängen, als hätte er verstanden, dass man sie abgewiesen hatte.
»Warum hast du ihr denn nicht den Armreif als Pfand gelassen?«, fragte Lippel, als sie draußen in der Dämmerung standen. »Du hättest ihn bestimmt wiederbekommen. Wenn Asslam wieder reden darf und euer Vater die Wahrheit erfährt, schenkt er euch das Geld für die Übernachtung.«
»Ich kann den Armreif nicht hergeben. Auf der Innenseite ist mein Name eingraviert und das königliche Wappen. Wenn die Frau das gesehen hätte, hätte sie gewusst, dass ich eine Prinzessin bin«, sagte Hamide. »Gibt es denn keine Möglichkeit, wie wir Geld verdienen könnten?«
»Wie denn?«, sagte Lippel. »Du kannst doch nichts, du bist doch eine Prinzessin. Und Asslam darf nicht einmal reden.«
»Warum sagst du so etwas?«, fragte Hamide gekränkt. »Warum soll ich nichts können?«
»Na ja, Prinzessinnen müssen doch nie arbeiten. Und Geld kann man nur durch Arbeit verdienen.«
»Ich
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