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Lippenstift statt Treppenlift

Lippenstift statt Treppenlift

Titel: Lippenstift statt Treppenlift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Urban
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Selbstredend käme auch niemals ein sogenannter »Seniorenteller« für sie infrage, eher noch würden wir unsere Oma beim Kindermenü »Pumuckl« zuschlagen sehen.
    Aber endlich stieß Ida auf »Ein Viertel Ente mit kleinem Kartoffelknödel und Rotkohl«, da rief meine Mutter: »Das nehme ich! Das ist genau die richtige Menge!«
    Dann kam das Bestellte, da war ich schon ein wenig nervös. Ganz unbegründet: Mit großer Selbstverständlichkeit griff Mama zu Messer und Gabel und säbelte mundgerechte Happen aus dem Enten-Viertel, als hätte sie niemals etwas anderes getan.
    Sie steckte Stück für Stück in den Mund, verzog das Gesicht, säbelte und kaute. Und kaute.
    »Zäh!«, sagte Mama, aber sie mampfte tapfer weiter.
    Schließlich lag nur noch das Knochengerüst auf dem Teller, da sagte sie: »Also das war vielleicht ein Gummiadler. So ein zähes Hühnchen habe ich noch nie erlebt!«
    »Aber Oma«, sagte Ida. »Das war kein Huhn. Du hast doch Ente bestellt!«
    »Ende!?«, sagte meine Mutter, die falsch verstanden hatte. »Welches Ende? Ich hatte den Teil mit dem Bein!«
    »Nein, Oma, Ente!«, sagte mein Sohn. »Ente! Der Wasservogel. Die schwimmen auf der Isar oder auf einem Teich!«
    »Ja, ja, mein Schatz«, sagte Mama, die ja auch mit dem neuen Hörgerät nur siebzig Prozent hört: »Das ist schön! Viel Spaß!«
    Bis auf die kleine Enttäuschung mit der falschen Geflügelsorte lief an jenem Tag also alles ganz glatt. Aber das hatten wir auch schon anders! Vor rund einem Jahr waren wir zum Beispiel mal mit Mama und Ömi gemeinsam beim Griechen. Das allein war an sich schon ein Problem. Nicht so sehr für Mama, die im Prinzip alles isst außer asiatisch (da schmeckt alles nach Duschgel, findet sie). Schwierig war das eher für meine Schwiegermutter, die sich verhält, als wären ihr alle Gerichte – abgesehen von einer Handvoll urbayerischer Speisen – vollkommen fremd. Sie tut so, als hätte sie gerade eine Zeitreise hinter sich, die sie von einem Alpendorf im neunzehnten Jahrhundert staunend mitten in eine kosmopolitische Großstadt der Neuzeit befördert hat. In Wahrheit bereiste sie schon in den Sechzigerjahren mit ihrem Ehemann die halbe Welt und hat ganz bestimmt nicht überall nur von Schweinsbraten mit Knödeln gelebt.
    Dass wir beim Griechen landeten, lag an dem schönen Garten, aber beim Italiener ergeht es uns erfahrungsgemäß nicht besser. Ömi zupft mich in ausländischen Lokalen grundsätzlich am Ärmel und raunt: »Gibt es etwas, das man essen kann?!«
    Zu dem Zeitpunkt vertrug Ömi kein Fleisch (zumindest gab sie das vor), deswegen schaute ich auf der Speisekarte in die Spalte mit den vegetarischen Gerichten: »Elsbeth, versuche es doch vielleicht mit dem Gemüseteller. Oder wie wäre es mit einem Bauernsalat? Oder Kartoffel-Zucchini-Auflauf?«
    Ömi blickte unglücklich, und als die Kellnerin kam, tippte sie mit dem Finger einfach auf irgendwas. Also wurden es: Hackfleischbällchen mit Knoblauch-Dip.
    »Das ist ja nur eine kleine Vorspeise. Vielleicht dazu noch einen Salat?«, fragte mein Mann, und seine Mutter zuckte zusammen.
    »Salat? Ach, nein nein, bestimmt nicht!«, sagte sie, als hätte man ihr Schnecken angeboten oder Affenhirn.
    »Warum denn nicht?«, fragte mein Mann, der schon wieder leicht rosa Wangen bekam. »Was ist denn daran so abwegig, einen Salat als Beilage zu essen. Alle Welt isst Salat als Beilage!«
    »Ich hatte aber schon Salat, denk mal an!«, sagte meine Schwiegermutter im selben trotzigen Ton wie ihr Sohn.
    »Ach, und wann soll das gewesen sein?«
    Und so weiter und so fort.
    So verging die erste Viertelstunde mit den üblichen Kabbeleien, und schließlich stand das Essen auf dem Tisch.
    Wenn meine Mutter die Ömi und die ganze Familie trifft, dann ist sie immer ein wenig nervös. Und wenn Mama nervös ist, dann verwechselt sie leicht etwas. An jenem Tag war es die Sache mit den Tischmanieren: Irgendwo ganz hinten im Oberstübchen hatte sie offenbar noch was zum Thema Ellenbogen gespeichert. Nur wusste sie wohl nicht mehr so ganz, was man damit beim Essen tut (oder nicht tut). Und genau das tat sie dann. Nur falsch herum: Ellenbogen AUF den Tisch! Ganz selbstbewusst.
    Es war nicht sehr viel Platz am Tisch, deshalb platzierte Mama ihre Ellenbogen notgedrungen ganz nah am Tellerrand. Dabei versuchte sie, mit dem Besteck zu hantieren. Es wirkte ziemlich verkrampft.
    Das wäre alles halb so schlimm, wäre Ömi nicht dabei gewesen. Ömi ist in unserer Familie die

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