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Lisa geht zum Teufel (German Edition)

Lisa geht zum Teufel (German Edition)

Titel: Lisa geht zum Teufel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Hennig
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Zielgeraden hin entschied.
    Das Zypressenwäldchen war erreicht. Felipe hatte bereits jetzt den Abstand verringert, was Andreas dazu bewog, seinem Andalusier erneut die Sporen zu geben. Einmal blickte er sich kurz nach ihm um. Felipe erschrak, als er den Gesichtsausdruck seines Sohnes sah. Es war eine Fratze, die von Anstrengung, Wut und Besessenheit gezeichnet war. Wieder überlegte Felipe, sein Pferd zu schonen und Andreas den vermeintlichen Triumph zu gönnen, doch damit würde er seinem Sohn keinen Gefallen tun. Andreas würde es zudem durchschauen und sich nur mit dem Ergebnis eines fairen Wettkampfs zufriedengeben, und wenn sein Andalusier dieses hohe Tempo beibehielt, würde er tatsächlich gewinnen. Doch schon nach zwei Dritteln des Wegs sah Felipe dem Tier deutliche Ermüdungserscheinungen an. Es reagierte nicht mehr sofort auf Andreas’ Kommandos und Anfeuerungen. Es widersetzte sich, ging mit dem Kopf nach oben – ein untrügliches Zeichen dafür, dass es nicht mehr konnte. Felipes Wallach hingegen hatte noch Reserven. Sein Metabolismus hatte sich an das konstante Tempo gewöhnt. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie gleichauf waren. Erneut blickte Andreas zu ihm – hasserfüllt. Er wusste, dass er dabei war zu verlieren, und zog die Reitgerte aus dem Halfter, doch auch diese vermochte sein Pferd nicht mehr anzutreiben. Wie besessen hieb er auf den Andalusier ein. Das Pferd widersetzte sich und scheute. Andreas verriss die Zügel und versuchte, eine Kollision herbeizuführen, um das Rennen mit unfairen Mitteln für sich zu entscheiden, doch Felipe hatte sein Pferd im Griff. Er wich dem Lauf des Andalusiers aus, ritt schneller und kreuzte dann seine Bahn, um ihn zu stoppen. Das Pferd scheute erneut, stieg wiehernd nach oben. Andreas verlor das Gleichgewicht, versuchte, an den Zügeln Halt zu finden, doch sie entglitten seinen Händen, zu wuchtig und abrupt war die Bewegung. Felipe zerrte am Zügel seines Kartäusers. Das Tier gehorchte und trabte aus. Als Felipe sich umsah, lag sein Sohn reglos am Boden.
    Der Schatten einer menschlichen Silhouette tänzelte im Licht einer Kerze an der Wand, verlor sich aber mit jedem Wimpernschlag. Es roch nach Bienenwachs und Lavendel. Das gewohnte Ticken einer Uhr beruhigte ihn. Andreas öffnete die Augen, doch damit brach ein stechender Schmerz über ihn herein, dumpf, aber so gewaltig, dass er nach Luft japste. Dann spürte er eine warme Hand. Sie war kräftig. Er kannte sie. Es war die vertraute Hand seines Vaters.
    »Andreas«, ertönte die ihm bekannte Stimme leise.
    Er drehte sich um und sah in ein besorgtes Gesicht, das schlagartig um Jahre gealtert zu sein schien.
    »Gott sei Dank«, sagte sein Vater.
    Erst jetzt wurde Andreas bewusst, dass er in seinem alten Kinderzimmer lag. Sein Vater saß neben dem Bett, wie früher, wenn er ihm Geschichten zum Einschlafen vorlas. Wie schön wäre es, wenn er ihm jetzt wie gehabt eine Geschichte erzählen würde, und wenn es nur eine über die Kunst der Kriegsführung war. Das Gefühl der Geborgenheit, das von der Hand seines Vaters ausging, aber auch die Vertrautheit der Umgebung waren so übermächtig, dass es Andreas nur mit Mühe gelang, sich zu erinnern, was passiert war. Wie ein Film im Zeitraffer liefen die Ereignisse, die zu dem Unfall geführt hatten, vor seinem inneren Auge ab, und obwohl ihm damit die Gründe für den Streit wieder präsent waren, fühlten sie sich wie Lichtjahre entfernt an, und all die negativen Gefühle, die er in sich getragen hatte, schienen mit jedem weiteren Atemzug zu verblassen. Irgendetwas klebte an seiner Stirn. Er versuchte, dort hinzufassen, aber es gelang ihm nicht. Sein linker Arm fühlte sich anders an als sonst.
    »Du hast dir den Arm angebrochen«, sagte sein Vater ruhig und reichte ihm ein Glas Wasser. »Trink!«
    Andreas spürte, wie der starke Arm seines Vaters unter sein Kopfkissen fuhr und es leicht anhob. Das Wasser tat gut, auch wenn mit jedem Schlucken eine erneute Schmerzwelle seinen Kopf durchzuckte. Erschöpft ließ er sich auf das Kissen sinken und blickte zur Seite.
    »Es tut mir leid«, brach es schließlich aus Andreas heraus.
    »Ruh dich jetzt aus«, sagte sein Vater und bedeutete ihm, dass er jetzt nicht sprechen sollte. Stattdessen ergriff sein Vater das Wort. »Du hättest mir nie etwas beweisen müssen, Andreas«, sagte er. »Aber ich weiß schon … Ich hab vielleicht zu viel von dir verlangt. Dabei war ich doch immer so stolz auf dich«, fuhr er

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