Lisa geht zum Teufel (German Edition)
fort. »Das tut mir leid …«
Andreas war unfähig, sich zu bewegen. Was sein Vater ihm sagte, berührte ihn, weil er sich in diesem Moment daran erinnerte, wie oft er sich gewünscht hatte, dass sein Vater ihm nur einmal sagte, dass er stolz auf ihn sei.
»Es ist unklug, immer den Sieg davontragen zu wollen«, sagte sein Vater.
Andreas kannte den Spruch und musste lächeln. Was Machiavelli doch alles an Bandbreite zu bieten hatte. Wie Musik klang der weise Spruch in seinen Ohren, doch ein Geräusch war noch viel schöner. Es war das Klopfen an der Tür und die Stimme von Mercedes, die nach ihm rief …
Was für ein lupenreiner Sternenhimmel, der sich von der Terrasse ihres Gästezimmers aus offenbarte, das Felipe ihr angeboten hatte. Kein Licht weit und breit. Stille, die nach dem ereignisreichen Abend wie Balsam für ihre Seele war. Lisa merkte, dass sie erst jetzt langsam zur Ruhe kam. Nach Andreas’ Unfall war die Feier abrupt zu Ende gegangen. Notarzt. Helle Aufregung. Chaos. Felipe war nervlich so am Boden gewesen, dass er sich um die Verabschiedung der Gäste nicht mehr hatte kümmern können. Sie war gerne für ihn eingesprungen. Lisa hatte auch heute noch Routine darin, die Gastgeberin zu spielen, auch wenn sie die meisten der Anwesenden gar nicht kannte. Soviel sie von Felipe wusste, war Andreas mit einer Gehirnerschütterung und einem angebrochenen Arm davongekommen. Trotzdem ein viel zu hoher Preis für seine Sturheit oder vielmehr für die jahrelange Verbohrtheit seines Vaters, dem das Leben an diesem Abend die Rechnung präsentiert hatte. Noch vor Wochen hätte Lisa so etwas wie Schadenfreude empfunden. Zum ersten Mal hatte sich einer von Felipes Siegen, auch wenn es nur ein Pferderennen war, in eine Niederlage verwandelt, noch dazu vor all seinen Gästen, um deren Anerkennung er sich zeit seines Lebens bemüht hatte. Nun tat ihr Felipe aufrichtig leid. Wie es aussah, war er alles andere als ein guter Vater gewesen, und auch wenn sie immer noch nicht wusste, warum Felipe sein Leben lang so verbissen und in sich zurückgezogen gewesen war, schien eines klar zu sein: Er musste darunter gelitten haben, keine Liebe geben oder auch nur zeigen zu können. Das waren auch Delias Worte gewesen. Die Analyse einer echten Menschenkennerin – Prostituierte schienen die besten Psychologinnen zu sein. Delias Erfahrung nach hatte jeder irgendein Päckchen mit sich herumzutragen, und je eher man sich dessen bewusst wurde, desto früher war man auf dem richtigen Weg. Zu gerne hätte sie das Gespräch mit ihr fortgeführt, doch im Nachbarzimmer, in dem Felipes Personal Delia einquartiert hatte, brannte kein Licht mehr. Lisa blickte hinauf zum Sternenhimmel. Es war diesmal aber nicht die endlose Weite, die ihr eigenes Leben klein und unbedeutend erschienen ließ, was ihr schon oft ein Gefühl der Ruhe und Gelassenheit gegeben hatte. Es war etwas ganz anderes. Sie spürte das Päckchen nicht mehr, das sie viel zu lange mit sich herumgetragen hatte. Lisa lehnte sich in ihrem Liegestuhl zurück und atmete tief durch. Sie konnte guten Gewissens sagen, dass sie Felipe verziehen hatte, ohne irgendeinen bitteren Beigeschmack. Zugleich dachte sie an Rafael. Was er getan hatte, stand in keinem Verhältnis zu ihrem jahrelangen Debakel mit Felipe. Dass auch Rafael sein Spiel bereute, stand fest. Warum konnte sie ihm nicht mit der gleichen Leichtigkeit verzeihen? Er hatte noch dazu nachvollziehbare Gründe gehabt, sogar recht gute Gründe, doch die Verletzung war noch zu frisch, zu spürbar. Wieder blickte sie hinauf, um die Gedanken an Rafael abzuschütteln. Es wollte aber einfach nicht gelingen. Was, wenn er sich wirklich in sie verliebt hätte? Hatte sie sich nicht auch in ihn verliebt? Nein! Ganz und gar nicht. Nun fiel auch noch eine Sternschnuppe vom Himmel. Das berühmt-berüchtigte Zeichen? Absurd, um nicht zu sagen lächerlich, und doch beschäftigte sie die Frage, ob er jetzt wohl genau wie sie den Sternenhimmel ansah. Wahrscheinlich war ihm dieser Anblick sehr vertraut. Hatte er nicht jahrelang auf der Straße gelebt oder am Strand geschlafen? Ein schöner Gedanke. Sollte sie morgen früh vielleicht doch abreisen, um in Madrid nach ihm zu suchen? Gleichzeitig spürte sie, dass sie Felipe brauchte, um mit ihrem alten Leben abschließen, ihn neu einordnen zu können, zu erspüren, ob sie diese Seite an ihm nur noch nie gesehen hatte oder ob er sich tatsächlich so grundlegend verändert hatte. Irgendetwas, das viel
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