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Lisa geht zum Teufel (German Edition)

Lisa geht zum Teufel (German Edition)

Titel: Lisa geht zum Teufel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Hennig
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Lisa trauerte. Wie viel Zeit hatte er mit nichtssagenden Frauen verbracht, sich ihre Gegenwart quasi gekauft. Eine bittere Erkenntnis. Lisa ließ sich nicht kaufen. Nicht zuletzt diese Eigenschaft machte sie so wertvoll. Schon überlegte er, sie zu fragen, ob sie noch ein paar Tage länger bleiben würde, doch der Stallbursche durchkreuzte seine Pläne.
    »Felipe!«, rief er aufgeregt. »Es ist so weit … Blanca … das Fohlen.«
    Blanca war eine der schönsten Stuten in seinem Stall. Ihre Fohlen waren reinrassig. Felipes Herzschlag beschleunigte sich augenblicklich.
    »Kommst du mit?«, fragte er Lisa.
    Sie schien kurz zu überlegen, doch wie er vermutete, würde sie sich den Moment der Geburt eines Fohlens nicht entgehen lassen. Das waren die besonderen Augenblicke im Leben eines Züchters. Felipe lief zum Stall. Zwei seiner Stallburschen standen bereits in der großen Box, in der Blanca auf dem Boden liegend um die Niederkunft ihres Fohlens rang. Die Stute gab keinen Laut von sich, ruderte mit den Vorderläufen rhythmisch von vorn nach hinten. Felipe hatte Blanca bereits zweimal bei der Geburt eines Fohlens beobachtet. Diesmal verhielt sie sich anders. Sie fing an zu röcheln, die Hinterläufe erschlafften, als der Kopf des Fohlens zum Vorschein kam. Ein undefinierbares Etwas, das so aussah, als hätte man es in dicke Plastikfolie eingewickelt, begehrte zappelnd und zuckend Einlass in diese Welt. Lisa stand neben ihm. Ihr Blick war auf dieses faszinierende Schauspiel gerichtet. Neues Leben entstand vor ihren Augen. Luke kam in den Stall gelaufen.
    »Darf ich zusehen?«, fragte er.
    Felipe nickte, gab ihm aber mit einer Handbewegung zu verstehen, ruhig zu bleiben.
    Blanca ruderte weiter mit den Läufen, bis der Körper des Fohlens zu erkennen war und sein Kopf durch die gelartige Schicht stieß, die es umhüllte. Felipe ergriff ein Gefühl der Glückseligkeit.
    »Ist das niedlich«, sagte Luke.
    Auch Lisa war sichtlich ergriffen von diesem Moment. Niemand außer Felipe schien zu sehen, dass irgendetwas mit Blanca nicht stimmte. Ihre Bewegungen wurden langsamer. Es kam zu ungewöhnlich starken Nachblutungen. Ihr Körper zuckte spastisch. Die Stute warf ihren Kopf hin und her und entspannte dann die Läufe, bis ihre Bewegungen zum Stillstand kamen und ihr Körper erschlaffte. Die Stallburschen eilten herbei. Einer von ihnen half dem Fohlen auf. Seine Mutter blieb reglos am Boden liegen. Blanca war tot. Felipe sank in sich zusammen. Die Freude über das Neugeborene wich tiefer Trauer um eine seiner schönsten Stuten. Was war nur passiert? Erst jetzt fiel ihm auf, dass Lisas Hände sich so um die Latten des Gatters verkrampft hatten, dass das Weiß ihrer Knöchel zum Vorschein kam. Er sah sie an und bemerkte, dass sie am ganzen Leib zitterte. Luke stand still daneben und starrte auf das tote Tier.
    »Lisa«, sagte Felipe. »Diese Dinge passieren. Man ist dagegen machtlos.«
    Hatte er etwas Falsches gesagt? Tränen lösten sich aus ihren Augen. Sie riss sich förmlich vom Gatter los und rannte nach draußen. Felipe tat augenblicklich leid, dass sie diesen Moment hatte mit ansehen müssen. Luke hingegen schien gefasst, doch Felipe nahm ihn an der Hand.
    »Komm, Luke …«, sagte er, und der Junge verstand. Yolanda stand ebenfalls mit feuchten Augen, die sie sich tapfer trockenwischte, am Eingang der Stallungen. Sie nahm Luke in den Arm.
    Doch wo war Lisa? Felipe blickte nach draußen und sah sie in Richtung Koppel laufen. Sie lief und lief, bis sie plötzlich verharrte und wie ein gefällter Baum zu Boden sank.
    »Ich hatte nicht den Mut, es dir zu sagen.« Wieder und wieder hörte Lisa die Stimme ihres Vaters. Sie kauerte mitten in der Steppe in brütender Hitze und hörte diesen Satz so deutlich, als würde er neben ihr stehen. Der Schmerz, der über viele Jahre dumpfer und erträglich geworden war, brach nun mit Urgewalt aus ihr heraus. »Ich hatte nicht den Mut, es dir zu sagen« war das Geburtstagsgeschenk ihres Vaters gewesen. Lisa ließ diesen Schmerz noch einmal ungefiltert von Vernunft und Disziplin, die ihn bisher so erfolgreich betäubt hatten, über sich ergehen. Sie war schuld gewesen. Sie allein! Sie hatte ihre Mutter getötet, weil sie sich das Recht genommen hatte, in diese Welt zu dringen, auf Kosten eines anderen Menschen, ihrer Mutter. Das Fohlen würde leben, aber Blanca war tot. Warum hatte ihr Vater ihr jahrelang erzählt, dass ihre Mutter bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war? Was für

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