Lisa geht zum Teufel (German Edition)
Größe, aber keine Unsterblichkeit. Manche kapieren es. Manche nie.«
War Felipes Gebaren am Ende also nichts weiter als Angst vor der Vergänglichkeit? Lisa nahm sich vor, diesen Gedanken weiterzuverfolgen, doch da meldete sich Rafael zu Wort.
»Jetzt stellt das mal nicht so hin, als ob nur die Männer schuld an allem seien«, protestierte er überraschend vehement. Sein Einwand war nicht von der Hand zu weisen und schüttete weiteres Öl in Lisas bereits loderndes Fegefeuer, das sich von Schuldgefühlen nährte. Über ihr »Versagen«, das ihr Felipe oft genug subtil vorgehalten hatte, wollte sie an diesem schönen Abend beim besten Willen nicht weiter nachdenken.
»Sie hat mich verlassen. Es geht auch umgekehrt«, brach es urplötzlich aus Rafael heraus. So verkrampft, wie er nun dasaß und hilflos in die Runde blickte, schien er es gerade zu bereuen, das Thema seines eigenen Ehedebakels angeschnitten zu haben.
»Ist schon spät. Entschuldigt mich«, sagte er schnell, stand abrupt auf und ging zum Haus.
»Rafaels wunder Punkt …« Delia zuckte mit den Schultern. »Sie hat ihm verdammt weh getan.«
Lisa nickte. Sie verstand nur zu gut, wie lange man Trennungsschmerz und den ganzen Ballast einer gescheiterten Beziehung mit sich herumtragen konnte. Dann gab es noch eine Parallele zu Rafaels gescheiterter Ehe, wenngleich sie nur formeller Natur war. Auch Lisa hatte ihren Mann verlasen. Gemessen an Rafaels heftiger Reaktion war das unter Umständen etwas, mit dem Männer ein Leben lang nicht fertig wurden. Es rechtfertigte aber nicht den Krieg, den Felipe gegen sie angezettelt hatte. Dahinter musste weit mehr stecken.
»Vielleicht sind manche Menschen einfach nur von Grund auf böse. Irgendwann bricht es aus ihnen heraus«, überlegte Lisa laut.
»Rafaels geschiedene Frau sicher nicht. Sie hatte ihre Gründe.«
»Und was ist mit Felipe?«, fragte Lisa.
Delia dachte einen Moment nach, bevor sie antwortete: »Kein Mensch will Böses tun. Es passiert.«
»Das klingt nach einer Universalentschuldigung«, warf Lisa ein.
»Ich glaube, Böses entsteht, weil der Mensch sich vom Guten abwendet, weil er vom rechten Weg abkommt. Auch dafür gibt es jede Menge Gründe.«
»Also, ich lege die Hand dafür ins Feuer, dass Felipe mir eine Seite gezeigt hat, die man guten Gewissens als böse bezeichnen kann. Mit einer verpassten Abzweigung hat das nichts zu tun«, versuchte Lisa klarzustellen.
»Mag sein, dass sie in ihm steckt. Sie steckt aber in jedem von uns. Vielleicht hast du sie nur in ihm geweckt, weil du irgendeinen Knopf bei ihm gedrückt hast.«
Von wegen Knopf. Wenn jemand auf Knöpfe drückte und Fäden zog, dann doch wohl er.
»Ich kann mir kaum vorstellen, dass ich für seine Habgier, sein Machtgebaren und seine Selbstherrlichkeit verantwortlich sein könnte«, entgegnete Lisa empört.
»Er kompensiert damit irgendetwas. Da bin ich mir sicher. Ein Mensch, der mit sich im Einklang ist, hat so etwas doch nicht nötig.«
»Also gibt es das Böse gar nicht?«, fragte Lisa. Der teuflische Felipe war also gar nicht böse?
»Sicher. Letztlich begegnet man ihm doch überall. Im Kleinen wie im Großen. Bei Bankern, die aus Habgier Milliarden an den Börsen verjubeln, oder wenn man dir die tausendste Feuchtigkeitscreme als Universalmittel gegen Falten verkauft, obwohl sie gar nicht wirkt. Wir werden täglich zu irgendetwas verführt, weil irgendjemand davon profitiert, dass wir uns verführen lassen. Ja, es existiert. Aber wir entscheiden uns, ob wir uns verführen lassen oder andere verführen. Unsere Entscheidung, denn das Gute kann ohne das Böse leben, aber nicht umgekehrt. So einfach ist das.«
Lisa gab Delia in allen Punkten recht, aber von »einfach« konnte keine Rede sein. »Das macht das Leben ja so furchtbar anstrengend«, sagte sie. »Diese ständigen Entscheidungen. Tue ich das Richtige?« Und wie oft hatte Lisa im Nachhinein betrachtet das Falsche getan, sich verführen lassen. Da musste sie nur an Reiner denken – ihren jüngsten Fehlgriff, mit dem sich Felipe bestimmt gut verstehen würde.
»Es gehört eine ordentliche Portion Stärke dazu, sich richtig zu entscheiden. Ich finde, das ist eines der wichtigsten Dinge im Leben«, resümierte Delia. Dass sie als Prostituierte bestimmt häufiger durch die Abgründe des Lebens gewatet war als eine Verlagsangestellte, stand außer Frage. Dass Delia eine so klare Sicht auf das Leben hatte, überraschte Lisa trotzdem.
»Also sind die Bösen die
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