Lisa geht zum Teufel (German Edition)
nicht erteilten Baugenehmigung gibt.«
Die Wahrheit also. Gut, wenn sie sie hören wollte.
»Mein Sohn möchte eine Familie gründen. Ich zahle dir, was du willst. Er hängt an dem Haus. Was ist schon dabei? Es geht dir doch nur ums Prinzip, wie immer.«
»Du hast recht, Felipe. Es geht mir ums Prinzip. Warum hast du nicht offen mit mir darüber gesprochen? Es sind die Mittel, die du einsetzt, Felipe. Deine Rücksichtslosigkeit und nicht unbedingt die Gründe«, hielt sie ihm ziemlich überzeugend vor.
Warum nur blieb ihre Stimme so ruhig? Warum waren ihre Augen so voll Mitleid? Das irritierte ihn. Bisher hatte ihn noch nie jemand so mitleidig angesehen. Sollte er ihr jetzt etwa gestehen, dass nicht er, sondern sein Sohn dafür verantwortlich war? Damit wäre der Gesichtsverlust aber endgültig.
»Zeig wenigstens einmal Größe, Felipe, und lass deine unfairen Spielchen. Das ist deine letzte Chance«, fuhr Lisa unbeirrt fort.
»Eine Chance? Wozu?«, fragte er fast schon panisch.
»Mir zu zeigen, dass du ein Mensch bist, Felipe«, erwiderte Lisa und sah ihn dabei eindringlich mit dem gleichen sanftmütigen Blick an wie zuvor.
War das eine neue Masche? Lisa hatte es stets geschafft, ihm ein schlechtes Gewissen zu machen. Chance? Wieso hatte sie ihm damals keine Chance gegeben?
»Überdenke mein Angebot, eine halbe Million. Das ist mehr als großzügig«, versuchte Felipe, sie zu ködern.
»Ist das dein letztes Wort?«, fragte sie.
Felipe nickte und vermied den Blick in ihre Augen.
»Leb wohl, Felipe«, sagte sie und stand auf. Genau wie damals, als sie ihn verlassen hatte. Lisa stand auf und ging hinaus, ohne sich noch einmal nach ihm umzudrehen. Warum wollte die alte Wut nicht mehr aufsteigen? Warum schämte er sich, für seinen Sohn gelogen zu haben? Es ging doch nur um ein Geschäft. Da war kein Raum für Scham, doch just jenes Gefühl, das ihm in den letzten Jahren fremd geworden war, intensivierte sich mit jedem Atemzug. Er schämte sich dafür, sein Wort zu brechen, für seinen Sohn. Eine Chance, ihr zu zeigen, dass er ein Mensch war? Felipe war unfähig aufzustehen. Seine Arme und Beine klebten bleischwer an der Couch. Sie hatte ihn verlassen! Das alte Mantra, das bisher alles legitimierte, was er gesagt und getan hatte, zeigte sich wirkungslos. Lisas Worte wogen schwer und pressten ihn tiefer und tiefer in den Sessel. Warum hatte sie ihn verlassen? Weil er kein Mensch war? Warum diese Schwere? Das war ihr Gift, das in ihm wirkte, ihn lähmte. Warum hatte sie ihn verlassen?
Tetuán war eines der Madrider Viertel, in die sich normale Touristen nur selten verirrten. Abgesehen von einigen Low-Budget-Hotels und Jugendherbergen gab es hier kaum etwas Sehenswertes oder gar Schönes. Ein typischer Stadtteil für alle, die sich die hohen Mieten in Zentrumsnähe nicht leisten konnten. Das Viertel war ein Tummelplatz für Einwanderer, sozial Schwache und Kleinkriminelle, aber auch für Familien der Unterschicht. Fast jedes zweite Haus war renovierungsbedürftig. Zahlreiche Bauzäune und Straßensperren, hinter denen städtische Arbeiter ihr Tagewerk verrichteten, zeugten davon, dass dieser Teil der Stadt an allen Ecken und Enden sanierungsbedürftig war. Wahrscheinlich würde er hier leben, wenn er sein Dasein als »Sin Techo« im warmen Süden nicht dieser urbanen Armut vorgezogen hätte, überlegte Rafael, als er von der Calle de Bravo Murillo in eine Seitenstraße abbog, die sich in engen Straßen zwischen zweistöckigen alten Häusern verlor, von denen der Putz bröckelte. Ein richtiges Labyrinth, in dem Carmen mit ihrer Mutter lebte. Früher war er oft hier gewesen, hatte Carmen heimlich von einem der Cafés aus beobachtet, das schräg vor ihrem Haus lag. Angesprochen hatte er sie nie, und mit jedem Jahr, das vergangen war, hatte ihn sein Mut mehr verlassen. Von einem Vater wie ihm würde Carmen vermutlich nichts wissen wollen. Ein schmerzlicher Gedanke, der so intensiv geworden war, dass er beschlossen hatte, keinen Fuß mehr nach Madrid zu setzen – bis heute. Die Besitzer des Cafés hatten gewechselt. Niemand würde ihn erkennen. Hier konnte er in Ruhe hinter der verglasten Front sitzen und auf das Haus blicken, in dem seine Tochter lebte. Die Chancen, dass er sie so spät am Nachmittag sah, standen nicht gut. In gewisser Weise war er froh darüber. Lieber stellte er sich vor, wie sehr sie sich über sein Geschenk freuen würde. Nichts würde ihn glücklicher machen, als ihr diesen Traum zu
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