Lisa Kleypas
unterstellen würden.«
Mark
versuchte vergebens, sein Grinsen zu unterdrücken. Alex
war immer so kühl und gefühlsarm, dass man sich gelegentlich fragte, ob
wirklich ein Herz in ihm schlug.
»Vielleicht hat er Schuldgefühle, weil er vor
Vicks Tod kaum Kontakt zu ihr hatte.«
»Vielleicht
braucht er auch nur eine Ausrede, um weniger Zeit mit Darcy verbringen zu
können. Wenn ich nicht eh schon eine ausgeprägte Abneigung gegen die Ehe hätte,
dann bräuchte ich mir nur seine anzuschauen, um es mir sehr gründlich zu
überlegen.«
»Offensichtlich
sollten wir Nolans niemals jemanden heiraten, der uns zu ähnlich ist«,
meinte Mark.
»Ich glaube
sogar, dass wir Nolans niemals jemanden heiraten sollten, der bereit wäre,
einen von uns zu nehmen.«
Was immer
ihn dazu bewog, Alex half auch weiterhin bei den Sanierungsarbeiten. Als
Ergebnis ihrer gemeinsamen Bemühungen sah das Haus tatsächlich schon ein wenig
besser aus. Es wirkte zumindest so, als könnten normale Menschen darin leben.
»Wenn du
versuchst, Holly und mich nach all der Arbeit hier rauszuwerfen«, warnte
Mark, »dann verspreche ich dir ein vorzeitiges Grab im Hinterhof.«
Natürlich wussten sie beide sehr genau, dass Sam sie niemals rauswerfen würde.
Er hatte nämlich das Kind sofort lieb gewonnen. Er selbst war davon vermutlich
überraschter als jeder andere. Genau wie Mark war er bereit, notfalls für Holly
sein Leben zu geben. Sie bekam von allem, was sie hatten, immer nur das Beste.
Holly war
zunächst sehr zurückhaltend und vorsichtig gewesen, hatte sich aber schnell an
ihre Onkel gewöhnt und hing inzwischen sehr an ihnen. Wohlmeinende
Außenstehende hatten sie gewarnt, das Kind nicht zu sehr zu verhätscheln, aber
weder Sam noch Mark ent deckten Anzeichen dafür, dass ihre Nachsichtigkeit in
irgendeiner Form Schaden anrichtete. Im Gegenteil, beide hätten es begrüßt,
wenn Holly nicht ganz so brav gewesen wäre. Sie war ein gutes Kind und tat
immer, was man ihr sagte.
Wenn sie
nicht gerade in der Schule war, hielt sie sich bei Mark in seiner
Kaffeerösterei in Friday Harbor auf, beobachtete, wie die gewaltigen
Rösttrommeln die rohen Arabica-Bohnen erhitzten, bis ihre blassgelbe Haut ein
tiefes, schimmerndes Braun annahm. Manchmal spendierte er ihr in einem Café am
Hafen ein Eis, und dann gingen sie »Boote kaufen«: Sie streiften zwischen
den im Hafen liegenden Jachten, Schleppern, Segelbooten und Krabbenkuttern
umher und schauten sich alles an.
Sam
seinerseits nahm Holly oft mit zu seinen Weinreben, wenn er dort arbeitete,
oder er suchte mit ihr nach Seesternen und Seeigeln im Watt der False Bay. Er
trug die Nudel-Krawatten, die sie in der Schule gebastelt hatte, und pinnte die
von ihr gemalten Bilder überall im Haus an die Wände.
»Ich hatte
keine Ahnung, wie das sein würde«, sagte Sam eines Abends, während er die
schlafende Holly ins Haus trug. Sie war im Auto eingenickt, nachdem sie alle
den ganzen Nachmittag im English Camp verbracht hatten. Dort hatten
einst, während der gemeinsamen Besetzung, die Briten ihr Lager aufgeschlagen,
bis die Insel an die Amerikaner ging. Der Nationalpark mit seinem zwei Meilen
langen Strand war perfekt geeignet für ein Picknick und Frisbee-Spiele. Die
beiden Männer hatten bei ihren Bemühungen, die Frisbee-Scheibe zu fangen,
akrobatische Meisterleistungen dargeboten, nur um Holly zum Lachen zu bringen.
Sie hatten ihren kleinen Angelkasten und die Angelrute mitgenommen, und Mark
hatte ihr gezeigt, wie
man die Angel auswerfen musste, um Seebarsche zu fangen.
»Wie was
sein würde?« Mark öffnete die Haustür und schaltete das Licht auf der
Veranda ein.
»Ein
kleines Kind um sich zu haben.« Ein wenig verlegen fügte Sam hinzu: »Von
einem kleinen Kind geliebt zu werden.«
Dass Holly
in ihr Leben getreten war, hatte sich als ein Geschenk des Himmels
herausgestellt. Sie bot ihnen etwas, was sie nie zuvor gekannt hatten, und
zeigte ihnen, was Unschuld bedeutete. Sie entdeckten, dass etwas Überwältigendes
mit ihnen geschah, nur weil ihnen ein Kind bedingungslose Liebe und Vertrauen
schenkte.
Mit diesem
Geschenk in Händen wollten sie nur noch eines: alles tun, um es auch zu
verdienen.
Mark und Holly betraten das Haus durch
die Küche und legten ihre Einkäufe sowie das Schneckengehäuse auf den Tisch,
der neben der altmodischen eingebauten Eckbank stand. Dann suchten sie Sam und
fanden ihn im Wohnzimmer. Der Raum war schrecklich kahl mit seinen unverputzten
Wänden und dem halb
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