Listiger Freitag
Moment einstürzen zu können. Wenn etwas aus dieser Höhe herabkullerte, würde wahrscheinlich jeder Passant, der gerade in die Quere kam, zerschmettert werden. Besonders von den Steintafeln waren manche größer als Arthur selbst.
Vorsichtig betraten die vier Reisenden diese riesige, verwahrloste Deponie, aber weder erfolgte ein plötzlicher Angriff noch gab es irgendwelche Anzeichen, dass sich überhaupt jemand in der Gegend aufhielt. Eine rasche Inaugenscheinnahme des landseitigen Endes des Kais zeigte auch, dass es keine Gebäude gab, nicht einmal eine Hütte, in der sie hätten Zuflucht finden können.
Sie entdeckten jedoch eine kleine, dunkle Öffnung zwischen zwei turmhohen Stapeln übel riechender Felle, die ein unordentlicher Schreiber mit grüner Leuchttinte kreuz und quer beschrieben hatte.
»Das sieht mir nach einem Durchgang aus«, meinte Susi. »Ich wette, dass es im Innern dieses ganzen Zeugs eine kleine, gemütliche Höhle gibt. Wahrscheinlich ganz hinten; dort würde ich mich jedenfalls niederlassen.«
»Und nicht minder wahrscheinlich erwartet uns ebendort ein Hinterhalt«, ergänzte Ugham. Er reichte Fred seinen Speer und zog das Schlagringmesser. »Finstere Winkel führen zu finsteren Taten.«
Bevor Arthur etwas tun oder sagen konnte, verschwand Ugham in dem dunklen, engen Durchgang in geduckter, kampfbereiter Haltung. Der Junge zögerte einen Moment lang, jedoch nicht aus Angst, sondern vor Kälte, die sich langsam von seinen tauben Fingern und gefühllosen Zehen über den ganzen Körper ausbreitete und allmählich seinen Verstand lähmte.
Ich werde langsamer, dachte Arthur. Ich muss mich aufwärmen, oder ich werde sterben …
Doch dazu käme es nicht, wie er wohl wusste: Sein Überlebenswille war zu stark. Er würde den Schlüssel einsetzen und zum Bürger werden …
Arthur zwang sich, an das Nächstliegende zu denken statt zu sinnieren, was die Zukunft bringen mochte, nötigte seine kalten Muskeln zum Funktionieren und ging Ugham hinterher, gefolgt von Susi und Fred.
Schon nach ein paar Schritten musste Arthur stehen bleiben. In der Gasse zwischen den Aufzeichnungen wurde es so finster, dass nichts mehr zu erkennen war. Irgendwo weiter vorn konnte er Ugham hören, aber der Pfad war zu gewunden und schwierig, um sich im Dunkeln weiterzutasten.
»Hat einer von euch irgendwas an Licht dabei?«, flüsterte Arthur. Susi war jetzt direkt hinter ihm, und Fred folgte ihr auf den Fersen.
»Nur den Speer«, flüsterte Fred zurück. »Aber hier gibt es zu viel Papier. Wir würden mit Sicherheit ein Feuer verursachen.«
»Hab keins«, sagte Susi. »Aber ich kann ein bisschen im Dunkeln sehen. Nicht so gut wie die Neunichtse allerdings. Der Pfeifer hat ein paar Besonderheiten bei ihnen eingebaut: Sie mögen zum Beispiel die Dunkelheit. Vielleicht findet Uggie ja eine Laterne und kommt zurück.«
»Wir können Ugham nicht einfach vorgehen lassen«, erklärte Arthur. »Was ist, wenn am anderen Ende ein Treuhänder wartet? Oder ein hochrangiger Bürgerzauberer?«
Susi holte Luft und setzte zu einer Antwort an, aber dazu kam es nicht mehr. Hinter ihnen ertönte ein entsetzlicher, unmenschlicher Schrei, bei dem jeder sofort wusste, dass er einer unbändigen Wut entsprang. Er klang so rachgierig, dass er jeden vernünftigen Gedanken aus den Köpfen der drei Kinder vertrieb.
Der Schrei schwoll auf unerträgliche Höhe an, ging in einen furchterregenden Grunzlaut über und stieg erneut an. Arthur drängte bereits voran, tastete hektisch mit ausgestreckten Händen, um den nächsten Durchgang zu finden. Hinter sich hörte er Susi poltern, und Fred rief etwas Unverständliches, was vermutlich »Lauft!« heißen sollte.
Alle wussten sie, dass der Schrei von draußen gekommen war. Vom Ufer. Sämtliche Instinkte befahlen ihnen, so schnell wie möglich das Ende des Kais zu erreichen.
Was auch vor ihnen liegen mochte, verborgen in der hügeligen Halbinsel aus Papieren, Tafeln, Fellen und Papyrusrollen: Es konnte nicht gefährlicher sein als das, was hinter ihnen herumschlich und seine Wut in den Himmel schrie.
KAPITEL ELF
Arthurs ungestüme Flucht endete abrupt mit einem Zusammenprall, der ihn kurz in die Knie gehen ließ. Doch so schmerzhaft es war, mit voller Wucht gegen etwas zu rennen, was sich wie eine Riesenmatratze anfühlte, in Wirklichkeit aber wohl eher ein Haufen alter Pergamentmanuskripte war – es half ihm, wieder einen halbwegs klaren Kopf zu bekommen. In dieser kurzen Atempause
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