Little Bee
»Und die Männer da unten?«
»Meinst du, die halten uns auf?«
Ich umklammerte den Maschendraht fester. »Keine Ahnung, Yevette. Ich habe Angst.«
»Wovor Angst, Käfer? Vielleicht die lassen uns einfach in Ruh. Außer du sagst Schimpfwort, wie bei Taximann.«
Ich schüttelte lächelnd den Kopf.
»Also gut. Kein Angst. Ich gehe mit dir und pass auf Affenbenehmen auf.«
Yevette wandte sich an das Mädchen mit den Dokumenten. »Was mit dir, Fräulein ohn Namen? Du kommst mit?«
Das Mädchen schaute zurück zum Abschiebegefängnis. »Warum haben sie uns nicht weitergeholfen ? Warum haben sie nicht unsere Sozialarbeiterinnen geschickt?«
»Na, weil sie haben entschieden, das nicht zu tun, Süße. Also was? Gehst wieder rein, fragst vielleicht nach Auto und nach Freund und schöne Schmuck?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. Yevette lächelte.
»Gut so, Süße. Und jetzt du, Sarimädchen. Ich mach leicht für dich. Du kommst mit uns, Süße. Wenn ja, sag nichts.«
Das Mädchen im Sari blinzelte sie an und neigte den Kopf zur Seite.
»Gut. Alle dabei, Käferlein. Wir alle hier gehen weg.«
Yevette drehte sich zu mir, aber ich betrachtete noch das Mädchen. Der Wind blies gegen ihren gelben Sari, und ich entdeckte eine Narbe quer über ihrer Kehle, so dick wie euer kleiner Finger. Sie hob sich weiß wie ein Knochen von der dunklen Haut ab. Sie war knotig und schlängelte sich um ihre Luftröhre, als wollte sie nicht loslassen. Als dachte sie, sie könnte das Mädchen noch immer erledigen. Das Sarimädchen bemerkte meinen Blick und verbarg die Narbe mit der Hand, also schaute ich ihre Hand an. Auch darauf waren Narben. Ich weiß, wir haben eine Vereinbarung über Narben, aber diesmal schaute ich weg, weil man manchmal zu viel Schönheit sehen kann.
Wir gingen über die asphaltierte Straße den Hügel hinunter. Yevette ging vor, und ich kam als Zweite, und die anderen folgten mir. Ich starrte die ganze Zeit auf Yevettes Fersen. Ich schaute nicht nach links oder rechts. Mein Herz hämmerte, als wir unten angekommen waren. Das Knattern des Traktors wurde lauter, bis es das Geräusch von Yevettes Flipflops übertönte. Als der Traktorlärm hinter uns wieder nachließ, konnte ich leichter atmen. Es ist gut, dachte ich. Wir sind an ihnen vorbei, und es hat natürlich keine Probleme gegeben. Wie dumm von mir, mich zu fürchten. Dann verstummte der Traktorlärm. Irgendwo in der Nähe sang ein Vogel in der plötzlichen Stille.
»Moment mal«, sagte eine Männerstimme.
»Geh weiter«, flüsterte ich Yevette zu.
»Halt!«
Yevette blieb stehen. Ich wollte an ihr vorbei, aber sie hielt mich am Arm fest.
»Denk nach, Süße. Wo willst du hin?«
Ich blieb stehen. Ich hatte solche Angst, dass ich kaum atmen konnte. Die anderen Mädchen sahen genauso aus. Das Mädchen ohne Namen flüsterte mir ins Ohr: »Bitte. Lass uns wieder den Hügel raufgehen. Diese Leute mögen uns nicht, das kann man sehen.«
Der Traktormann stieg herunter. Der andere Mann, der die Gatter zumachte, kam auch dazu. Sie standen auf der Straße zwischen uns und dem Abschiebegefängnis. Der Traktorfahrer trug eine grüne Jacke und eine Mütze. Er hatte die Hände in den Taschen. Der Mann, der die Gatter zugemacht hatte - der Mann im blauen Overall - war sehr groß. Der Traktorfahrer reichte ihm nur bis zur Brust. Er war so groß, dass die Hose seines Overalls ein Stück über den Socken endete, und er war auch sehr fett. Unter seinem Hals war eine rosa Fettrolle, und sein Overall saß sehr eng. Er hatte seine Wollmütze ins Gesicht gezogen. Er nahm ein Päckchen Tabak aus der Tasche und drehte sich eine Zigarette, ohne uns Mädchen aus den Augen zu lassen. Er hatte sich nicht rasiert, und seine Nase war rot und geschwollen. Seine Augen waren auch rot. Er zündete sich die Zigarette an und stieß den Rauch aus und spuckte auf den Boden. Als er sprach, wabbelten seine Speckrollen.
»Ihr seid weggelaufen, was, Kinderchen?«
Der Traktorfahrer lachte. »Kümmert euch nicht um Klein Albert«, sagte er.
Wir Mädchen blickten zu Boden. Ich und Yevette standen vorn, und das Mädchen im gelben Sari und das Mädchen ohne Namen standen hinter uns. Das Mädchen ohne Namen flüsterte mir wieder ins Ohr. »Bitte, lass uns zurückgehen. Du merkst doch, die Leute helfen uns nicht.«
»Sie können uns nicht wehtun. Wir sind jetzt in England. Hier ist es nicht so wie da, wo wir herkommen.«
»Bitte, lasst uns einfach nur gehen.«
Ich sah, wie sie in ihren
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