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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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ich glaube nicht, dass Yevette ein Mensch ist. Ich glaube, sie gehört zu einer anderen Spezies mit einem größeren Mundwerk. Yevette und die Frau des Bauern fingen an zu lachen, und wir erzählten ein bisschen, woher wir alle kamen und wohin wir wollten. Sie erklärte mir den Weg nach Kingston-upon-Thames, sagte aber auch, ich solle nicht hingehen. Ihr solltet nicht in die Vororte gehen, meine Liebe, sagte sie. Ist weder Fisch noch Fleisch, in den Vororten. Unnatürliche Orte, voller unnatürlicher Leute. Ich lachte. Ich sagte, Vielleicht passe ich da genau rein.
    Die Frau des Bauern war überrascht, als wir um fünf statt vier Teller baten, brachte sie aber trotzdem. Wir teilten das Essen in fünf Portionen und gaben der Tochter der Frau ohne Namen die größte davon, weil sie noch im Wachstum war.
    In dieser Nacht träumte ich von meinem Dorf, bevor die Männer kamen. Es gab eine Schaukel, die die Jungen gemacht hatten. Sie bestand aus einem alten Autoreifen, den die Jungen mit Seilen an den höchsten Ast eines Baumes gehängt hatten. Es war ein großer alter Limba-Baum, und er stand ein Stückchen entfernt von unseren Häusern in der Nähe der Schule. Als ich noch zu klein war, um auf die Schaukel zu gehen, setzte mich meine Mutter in den dunkelroten Staub neben dem Stamm des Limba, damit ich den großen Kindern beim Schaukeln zusehen konnte.
    Ich hörte gern zu, wenn sie lachten und sangen. Zwei, drei, vier Kinder gleichzeitig, wild übereinander, mit verknoteten Armen und Beinen und Köpfen, die beim Schaukeln an der niedrigsten Stelle im roten Staub schleiften. Aie! Autsch! Geh runter von mir! Nicht schubsen! An der Schaukel gab es immer viel Geschnatter und Gelächter, und von den Zweigen des Limba-Baums über meinem Kopf antworteten mürrische Nashornvögel mit Geschrei. Nkiruka stieg manchmal von der Schaukel und hob mich hoch und gab mir weiche Teigbröckchen, die ich zwischen meinen rundlichen Fingern kneten konnte.
    Als ich ein kleines Mädchen war, gab es nur Glück und Gesang. Wir hatten viel Zeit dafür. Wir mussten uns nicht beeilen. Es gab keine Elektrizität und kein fließendes Wasser und auch keine Traurigkeit, weil noch nichts davon unser Dorf erreicht hatte. Ich saß zwischen den Wurzeln meines Limba-Baums und lachte, während ich Nkiruka beim Schaukeln zusah, vor und zurück, vor und zurück. Die Seile der Schaukel waren sehr lang, so dass sie eine Weile brauchte, um von einem Ende zum anderen zu schwingen. Die Schaukel schien es nie eilig zu haben. Ich sah ihr den ganzen Tag zu und ahnte nicht, dass ich ein Pendel betrachtete, das die letzten friedlichen Jahre meines Dorfes abzählte.
    In meinem Traum sah ich den Reifen vor und zurück schwingen, vor und zurück, in jenem Dorf, das noch nicht wusste, dass es auf einem Ölfeld stand und bald Männer darum kämpfen würden, weil sie in wahnsinniger Eile hinunter ins Öl bohren wollten. Das ist das Problem mit dem Glück - es steht immer auf Dingen, die Männer haben wollen.
    Ich träumte, dass ich Nkiruka vor und zurück, vor und zurück schwingen sah, und als ich aufwachte, hatte ich Tränen in den Augen, und ich sah im Mondlicht etwas anderes vor und zurück schwingen, vor und zurück. Ich wusste nicht, was es war. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und machte sie weit auf, und dann sah ich, was am Ende meines Bettes durch die Luft schwang.
    Es war ein einzelner Dunlop-Green-Flash-Turnschuh. Der andere war der Frau ohne Namen vom Fuß gefallen. Sie hatte sich an einer der langen Ketten erhängt, die bis zum Dach reichten. Sie war nackt bis auf den einen Schuh. Sie war sehr dünn. Ihre Rippen und Hüftknochen stachen hervor. Ihre offenen Augen quollen heraus und waren nach oben ins dünne, blaue Licht verdreht. Sie glitzerten. Die Kette hatte ihr den Hals, der so dünn war wie ihr Knöchel, gebrochen. Ich schaute den Dunlop-Green-Flash-Turnschuh und den nackten dunkelbraunen Fuß mit der grauen Sohle an, die am Fußende meines Bettes vor und zurück schwangen. Der Turnschuh schimmerte im Mondlicht wie ein träger, silberner Fisch, und der nackte Fuß jagte ihn wie ein Hai. Sie umkreisten einander. Die Kette quietschte leise.
    Ich ging hin und berührte das nackte Bein des Mädchens ohne Namen. Es war kalt. Ich schaute zu Yevette und dem Sarimädchen hinüber. Beide schliefen. Yevette murmelte im Schlaf vor sich hin. Ich wollte hingehen und sie wecken, rutschte aber auf etwas Nassem aus. Ich kniete mich hin und berührte es. Es war

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