Little Brother
benutzen. Ich zieh mich raus, das mein ich. Ich werde kein Teil deiner Pläne mehr sein."
Ich sagte kein Wort.
"Ich weiß, das bedeutet, dich im Stich zu lassen. Ich will das nicht, glaub mir. Ich will viel lieber, dass du mit mir zusammen aufgibst. Du kannst keinen Krieg gegen die Regierung der USA erklären. Das ist ein Kampf, den du nicht gewinnen kannst. Und dir dabei zugucken, wie dus versuchst, ist wie zugucken, wie ein Vogel immer noch mal gegen die Scheibe fliegt."
Er erwartete, dass ich was sagte. Was ich sagen wollte, war Oh Gott, Jolu, herzlichen Dank dafür, dass du mich im Stich lässt! Hast du schon vergessen, wies war, als sie uns abgeholt haben? Hast du vergessen, wie es in diesem Land aussah, bevor sie es übernommen haben? Aber das war es nicht, was er von mir hören wollte. Was er hören wollte, war:
"Ich verstehe, Jolu. Und ich respektiere deine Entscheidung."
Er trank den Rest aus seiner Flasche, zog sich eine neue raus und öffnete sie.
"Da ist noch was", sagte er.
"Was?"
"Ich wollts nicht erwähnen, aber ich will, dass du wirklich kapierst, warum ich das tun muss."
"Oh Gott, Jolu, was denn?"
"Ich hasse es, das zu sagen, aber du bist weiß. Ich nicht. Weiße werden mit Kokain geschnappt und gehen dann ein bisschen auf Entzug. Farbige werden mit Crack erwischt und wandern für zwanzig Jahre in den Knast. Weiße sehen Bullen auf der Straße und fühlen sich sicherer. Farbige sehen Bullen auf der Straße und fragen sich, ob sie wohl gleich gefilzt werden. So, wie das DHS dich behandelt, so war das Gesetz in diesem Land für uns schon immer."
Es war so unfair. Ich hatte es mir nicht ausgesucht, weiß zu sein. Ich glaubte auch nicht, mutiger zu sein, nur weil ich weiß bin. Aber ich wusste, was Jolu meinte. Wenn die Bullen in der Mission jemanden anhielten und nach den Papieren fragten, dann war dieser Jemand typischerweise kein Weißer. Welches Risiko ich auch einging - Jolu ging das höhere ein. Welche Strafe ich zu zahlen hätte, Jolu würde mehr zu zahlen haben.
"Ich weiß nicht, was ich sagen soll", sagte ich.
"Du musst nichts sagen", entgegnete er. "Ich wollte bloß, dass dus weißt, damit dus verstehen kannst."
Ich konnte Leute auf dem Nebenweg auf uns zukommen sehen. Es waren Freunde von Jolu, zwei Mexikaner und ein Mädchen, das ich vom Sehen kannte, klein und eher der intellektuelle Typ; sie trug immer süße schwarze Buddy-Holly-Brillen, die sie aussehen ließen wie eine ausgestoßene Kunststudentin in einem dieser Teenie-Streifen, die schließlich den Megaerfolg landet.
Jolu stellte mich vor und verteilte Bier. Das Mädchen nahm keins, sondern holte einen kleinen silbernen Flachmann mit Wodka aus ihrer Handtasche und bot mir einen Schluck an. Ich nahm einen - warmer Wodka muss ein anerzogener Geschmack sein - und beglückwünschte sie zu dem Fläschchen, das mit einem wiederholten Motiv aus Parappa-the-Rapper-Charakteren geprägt war.
"Ist japanisch", sagte sie, während ich es mit einem LED-Schlüsselanhänger begutachtete. "Die haben jede Menge irren Trinkerbedarf mit Kinderspielzeug-Motiven. Total abgefahren."
Ich stellte mich vor und sie sich auch. "Ange", sagte sie und nahm meine Hand in ihre beiden Hände - trocken, warm, mit kurzen Fingernägeln. Jolu stellte mich seinen Kumpels vor, die er schon seit dem Computercamp in der vierten Klasse kannte. Dann kamen noch mehr Leute - fünf, zehn, dann zwanzig. Jetzt wars eine richtig große Gruppe.
Wir hatten den Leuten eingeschärft, bis Punkt halb zehn da zu sein, und warteten bis viertel vor, um zu sehen, wer alles kommen würde. Ungefähr drei Viertel waren Jolus Freunde. Ich hatte alle Leute eingeladen, denen ich vertraute. Entweder war ich wählerischer als Jolu oder nicht so beliebt. Aber da er mir nun erzählt hatte, dass er aufhören wolle, nahm ich an, dass er weniger wählerisch war. Ich war echt stinkig auf ihn, aber versuchte es mir nicht anmerken zu lassen, indem ich mich drauf konzentrierte, mit ein paar anderen Leuten bekannt zu werden. Aber er war nicht blöd. Er wusste, was los war. Ich konnte ihm ansehen, dass er ziemlich niedergeschlagen war. Gut.
"Okay", sagte ich und kletterte auf eine der Ruinen, "okay, hey, hallo?" Ein paar Leute in der Nähe schenkten mir ihre Beachtung, aber die weiter hinten schnatterten weiter. Ich hob meine Arme in die Höhe wie ein Schiedsrichter, aber es war zu dunkel. Dann kam ich auf die Idee, meinen LED-Schlüsselanhänger anzuknipsen und immer abwechselnd einen der
Weitere Kostenlose Bücher