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Live!

Live!

Titel: Live! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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unbewohnt. Ich trete hinaus und ziehe die Tür hinter mir ins Schloß.
    Die Nummer zehn, rechterhand des verlassenen Hauses, ist ein zweistöckiges Gebäude. Die Türklingeln tragen keine Namen. Wozu auch, sage ich mir. Wer hier gelandet ist, wird von niemandem mehr aufgesucht. Ich klopfe an die erste Tür. Sie wird geöffnet. Auf der Schwelle steht eine schmale Frau mittleren Alters.
    »Wissen Sie vielleicht, ob jemand das Haus nebenan bewohnt?« frage ich. Sie klappt ihre Handflächen seitwärts und blickt mich verständnislos an.
    Ich probiere es in der zweiten Etage und treffe auf eine Muslimin, die trotz Höllenhitze ein Kopftuch trägt. Auch sie begreift nicht, was ich von ihr wissen will. Beim dritten Versuch stoße ich auf eine Bulgarin, die zwei griechische Wörter beherrscht: »Nix verstehen.«
    Es hat keinen Zweck, die Nachforschungen fortzusetzen. Favieros hatte das Haus aus diesem Grund ausgewählt: Der Postbote sollte niemanden antreffen, dem er die Verträge aushändigen konnte. Er hatte keine Telefonnummer angegeben, und die Adresse war eine unbewohnte Wohnung. Folglich konnte ihn keiner aufspüren.
    Als ich an die Ecke zur Sepolion-Straße gelange, halte ich inne. Das war’s also. Meine Nachforschungen enden hier, und meine Hoffnung, wieder auf meinen Posten in der Mordkommission zurückzukehren, löst sich in Luft auf. Favieros hat zuerst seine Autobiographie geschrieben, um sich selbst ein Denkmal zu setzen, und dann Selbstmord verübt. Und offensichtlich wurde er nicht dazu gezwungen. Nichts Verdächtiges verbirgt sich hinter seinem Selbstmord. Ich stehe also mit leeren Händen da, und Janoutsos erbt meine Stelle.

15
    D er Gedanke kommt mir in der U-Bahn, auf dem Rückweg von der Station Attiki zum Omonia-Platz. Es ist eine der Ideen, die aus dem Mut der Verzweiflung geboren werden, wenn die Vernunft ihre Waffen gestreckt hat und drauf und dran ist, in den Wahnsinn zu verfallen. In diesem Zustand entschließe ich mich, bei Favieros’ Offshore-Unternehmen anzusetzen, da dies meine letzte Hoffnung ist, den Fall überhaupt noch weiterzuführen. Freilich muß ich eine kleine Unregelmäßigkeit in Kauf nehmen. Ich muß die Überzeugung für mich behalten, daß Favieros’ Biographie im Grunde eine Autobiographie ist. Vielmehr muß ich so tun, als ginge ich davon aus, daß der geheime Schlüssel zum Selbstmord in dem Offshore-Unternehmen liegen muß. Wenn ich Glück habe und irgendwelche anrüchigen Geschäfte, Skandale oder Betrügereien aufdecke, dann bietet sich mir die Gelegenheit, durch ein anderes Schlupfloch an meinen Posten zurückzukehren. Zwar fällt alles eigentlich in den Zuständigkeitsbereich der Abteilung für Wirtschaftskriminalität. Aber das braucht man nicht so genau zu nehmen. Denn wenn die Bombe platzt, wird sie alles andere übertönen. Falls sich das Offshore-Unternehmen als Schlag ins Wasser erweisen sollte, dann schließe ich die Nachforschungen ab, und kein Hahn kräht mehr danach. Nur sitzt dann Janoutsos noch fester im Sattel.
    Die kleine Gnadenfrist, die mir meine Hoffnungen verschafft haben, erleichtert mich ein wenig. Und ich fahre nach Hause zurück – nicht gerade in blendender Stimmung, aber immerhin nicht mit hängenden Schultern. Ich finde Koula in der Küche vor, wo ihr Adriani gerade Kochunterricht erteilt.
    »Was haben Sie über Favieros’ Offshore-Unternehmen herausgefunden?« frage ich mit äußerst strenger und professioneller Miene.
    »Ich bin gleich soweit.«
    »Nicht jetzt, wir sind gleich mit dem Essen fertig«, mischt sich Adriani ein. »Geh doch kurz zu deinen Wörterbüchern, ich rufe dich gleich.«
    Ich bin drauf und dran, Koula eine Standpauke zu halten, ihr zu sagen, Gikas habe sie beurlaubt, um mir zu assistieren, und nicht, um sich die Zubereitung von Moussaka und gefüllten Weinblättern in Zitronensoße anzueignen. Doch nach kurzem Ringen sehe ich ein, daß die Normalisierung der Beziehungen zwischen Koula und Adriani auch mir größeren Handlungsspielraum gibt. Also halte ich den Mund, um den Waffenstillstand nicht aufs Spiel zu setzen. Doch ich gehe nicht zu meinen Wörterbüchern ins Schlafzimmer, sondern ins Wohnzimmer, wo ich tatenlos herumsitze, um den beiden zu verstehen zu geben, daß ich es eilig habe und sie vorwärts machen sollen.
    Koula kommt nach etwa einer halben Stunde. »Entschuldigen Sie, aber da Sie gerade nicht hier waren …«, rechtfertigt sie sich.
    »Macht nichts. Erzählen Sie mir, was Sie herausgefunden haben.«
    »So

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