Live Fast, Play Dirty, Get Naked
beurteilen konnte – nichts außer Speed. Schließlich war das hier sein großer Traum: seine Songs aufzunehmen, Platten zu produzieren. Und so viele Fehler Curtis auch hatte, es gab doch nie einen Zweifel an seiner Hingabe für die Musik, seiner Energie, seiner Leidenschaft, seiner zielsicheren Entschlossenheit. Wenn wir im Studio waren, interessierte ihn nur, dass wir es durchzogen, richtig hinkriegten, perfekt spielten.
Persönliches gehörte dort einfach nicht hin.
Das heißt, in dieser Hinsicht brauchte ich eigentlich keine Angst zu haben.
Was bedeutete, der einzige Grund zur Sorge war die simple Tatsache, dass wir in einem Aufnahmestudio spielten, umgeben von Menschen – Toningenieuren, Technikern, Produzenten –, die es gewohnt waren, mit Profimusikern zu arbeiten. Auch wenn ich in den letzten zwölf Monaten am Bass viel dazugelernt hatte und einigermaßen überzeugt war, mich zumindest halbwegs gut mit dem Instrument auszukennen, wusste ich doch, dass ich weit davon entferntwar, wirklich kompetent zu sein. Ich war eine kompetente Klavierspielerin , ja. Doch am Bass war ich noch immer Anfängerin.
Aber vielleicht hätte mir das gar keine Sorgen machen sollen. Schließlich waren wir eine Punkband und Punkbands machten sich keine Gedanken um musikalische Fähigkeiten.
Also, um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, ob diese Überzeugung wirklich jemals gestimmt hat, denn auch wenn viele Punkbands ohne großes musikalisches Wissen anfingen, lernten sie doch sehr schnell, vernünftig zu spielen. Du musstest es einfach lernen. Denn wenn du nicht spielen kannst … dann kannst du eben nicht spielen. Und auf der Bühne mag es ja noch irgendwie durchgehen, aber in einem Aufnahmestudio ist das unmöglich.
Deshalb – ja, ich war eben doch ein bisschen in Sorge, als wir mit der Aufnahme anfingen.
Aber auch in diesem Punkt waren alle Bedenken überflüssig.
Unser Produzent war ein Mann namens Edwyn James. Er war damals noch ziemlich jung, in den frühen Zwanzigern, und auch wenn er später einer der meistgesuchten Plattenproduzenten wurde, war er zu dieser Zeit noch so gut wie unbekannt. Doch er hatte schon ein paar Schallplatten mit anderen Polydor-Künstlern gemacht, von denen Polydor sehr beeindruckt war, deshalb holten sie ihn, um mit uns zu arbeiten.
Und er war wirklich unglaublich gut.
Er nahm sich endlos viel Zeit, nur um mit uns zu reden, uns kennenzulernen, uns zu fragen, was uns vorschwebte, welchen Sound wir wollten, welches Feeling … und dann bat er uns, die Songs zu spielen, die auf die Platte sollten,und es war deutlich zu sehen, dass sie ihm wirklich gefielen. Er sagte auch, wie großartig er uns fand – als Band und auch persönlich –, und selbst wenn ich annahm, dass er das jeder Band sagte, mit der er arbeitete, hatte ich doch keinen Zweifel, dass er es in diesem Fall wirklich so meinte. Deshalb machte ich mir von da an keine Gedanken mehr, ob ich gut genug war am Bass, sondern spielte einfach drauflos.
Bevor wir tatsächlich den ersten Song einspielten, arbeitete Edwyn lange mit uns, um den richtigen Sound zu finden – den richtigen Gitarrensound, den richtigen Schlagzeugsound, den richtigen Basssound –, und das dauerte echt lange. Wir probierten dies, wir probierten das – verschiedene Verstärker, verschiedene Boxen, verschiedene Mikros, verschiedene Einstellungen – ich glaube, wir brauchten mindestens ein, zwei Stunden, nur um an den Drums zu feilen: Wir schoben sie im Studio hin und her, dämpften sie ein bisschen ab, nahmen die Dämpfung wieder raus …
Zeitweise war das ganz schön nervig.
Aber davon abgesehen fand ich das Ganze absolut faszinierend.
Und als wir schließlich zum eigentlichen Aufnehmen kamen, begeisterte mich das ebenfalls. Edwyns Arbeitsweise war eigentlich ganz simpel. Wenn er erst mal mit dem Sound im Ganzen zufrieden war, drückte er bloß die Aufnahmetaste und ließ uns spielen. Wir spielten dann den Song, an dem wir gerade arbeiteten (was am ersten Tag Naked war) exakt so, wie wir ihn live spielen würden, und Edwyn nahm ihn auf. Danach sagte er uns, wie gut er es fand, und machte noch ein paar Vorschläge, wo man vielleicht etwas verbessern könnte, und wir spielten noch einmal. Und danach machte er noch mal ein paar Vorschläge und wir spielten wieder …
Und wieder …
Und wieder …
Und wieder …
Bis er plötzlich nach einem Take – es konnte der fünfte oder sechste … oder auch der elfte oder zwölfte sein – aufsprang und rief: »Das ist
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