Live Fast, Play Dirty, Get Naked
es, das ist die richtige Aufnahme!«
Und dann arbeiteten wir an dem, was Edwyn den »Spaßkram« nannte, was hauptsächlich bedeutete, der Basisversion die Overdubs zu geben – ein bisschen zusätzliche Gitarre, Backing Vocals, Harmonien, vielleicht ein bisschen Akkordeon hier, ein kleiner Gitarren-Break da … ich sollte sogar bei einigen Aufnahmen ein bisschen Keyboard spielen. Wir übertrieben es nicht, denn wir wollten ja den Sound möglichst rau und ungeschliffen halten, aber Edwyn wusste genau, was er tat, und am Ende des ersten Tages, kurz nach Mitternacht, als er uns die noch unfertig abgemischte Version von Naked vorspielte … also, ich erinnere mich noch sehr lebhaft an den Ausdruck in unseren Gesichtern, während wir dasaßen und zuhörten. Wir waren wie vier kleine Kinder am Weihnachtsmorgen, die gerade ihre Geschenke geöffnet haben und nicht nur genau das bekommen haben, was sie sich seit Langem wünschen, sondern viel mehr … wir konnten gar nicht mehr aufhören, uns anzustrahlen, dumm zu grinsen … wie vier kleine Kinder, betrunken vor Glück.
Es war einfach umwerfend.
Im Lauf der nächsten drei Tage nahmen wir Heaven Hill und einen neuen Song auf, den Curtis geschrieben hatte, der Every Moon hieß und meiner Meinung nach zum Besten gehörte, was Curtis je hervorgebracht hatte. Ein Song mit deutlich weniger Tempo und ziemlich lang – knapp fünf Minuten.Er bestand fast nur aus dem immer gleichen Refrain, wieder und wieder gespielt, mit einem hypnotisierend eindringlichen Bass- und Schlagzeugrhythmus, der am Ende in einen immer stärker werdenden Lärmsog mündet. Curtis sang dazu eine wunderbar düstere Melodie, die um das Zentrum des Songs mäanderte wie eine verlorene Seele, und die Worte selbst waren womöglich noch dunkler.
A SLICE OF MOON , A SLICE OF HEART BROKEN
A SICK MAN ’S PRAYERS
OF DOGS AND LIGHTS AND BLOODY THORNS
OF LOVERS ’ HEARTS AND WHORES
IN CHAINS AND BURNING CAGES
I AM FUCKED UP AND DEAD
AT EVERY MOON …
Weder Polydor noch Edwyn hielten es für den richtigen Zeitpunkt, diesen Song aufzunehmen. Ich glaube, er gefiel ihnen von der Musik her, es war wirklich ein sehr beeindruckendes Stück. Aber sie wollten kein beeindruckendes Musikstück, sondern lieber einen Drei-Minuten-Song, der es vielleicht in die Charts schaffte.
Doch Curtis blieb eisern, was Every Moon betraf. Er wollte den Song unbedingt einspielen und ging sogar so weit zu sagen, wenn nicht, würden wir unter Umständen überhaupt nichts für Polydor machen, was – nachdem wir gerade erst den Vertrag unterschrieben und bisher noch nichts rausgebracht hatten – ziemlich riskant war und vielleicht sogar ziemlich dumm. Aber am Ende machte es sich Polydor leicht: Sie ließen uns Every Moon aufnehmen, obwohl sie genau wussten, dass sie sich, wenn es darum ging, welcheSongs auf der Single erscheinen sollten, für die beiden anderen entscheiden würden.
So hatten wir Sonntagnacht schließlich die drei Songs im Kasten – Naked , Heaven Hill und Every Moon – und alle schienen zufrieden mit dem Ergebnis. Edwyn hatte noch mit dem letzten Abmischen zu tun und es gab auch noch etliche andere Dinge zu erledigen – Cover-Design, Promotion, Druck, PR –, doch Polydor hatte das vorläufige Erstverkaufsdatum bereits auf Freitag, den 24. September, festgesetzt. Das hieß, wenn alles gut ging, würde unsere erste Single in weniger als drei Wochen in den Läden sein.
Es war schwer zu glauben, dass es tatsächlich geschehen würde.
Und es war ebenso schwer zu glauben – als ich in jener Nacht das Studio verließ und in ein wartendes Taxi stieg –, dass nun schon Montag, der 6. September war. Die Ferien waren vorbei und in weniger als sieben Stunden würde ich auf dem Weg zurück in die Schule sein.
33
Es war ein seltsames Gefühl, nach allem, was in diesem Sommer passiert war, wieder in die Schule zu gehen. Als ich um Viertel vor neun durch das Tor lief, fragte ich mich, wieso ich das eigentlich tat. Ich hatte kein großes Interesse mehr an Schuldingen, und auch wenn ich mir im Klaren war, dass die Band – wie William gesagt hatte – untergehen konnte, gab es doch nichts anderes, was ich wirklich wollte im Leben. Wozu sollte ich mich also anstrengen, einen guten Abschluss machen und auf die Uni gehen?
Wieso nicht an diesem Punkt die Schule verlassen?
Einfach umdrehen, verschwinden und nach Hause gehen.
Ich wusste, dass Mum nichts dagegen hätte. Sie würde vielleicht so tun als ob, weil sie glaubte, sie
Weitere Kostenlose Bücher