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Live Fast, Play Dirty, Get Naked

Titel: Live Fast, Play Dirty, Get Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Curtis ganz zufrieden. Er ging hinüber und redete ein paar Takte mit Zitterflosse, gab ihm Ratschläge, wie er den Refrain noch ein bisschen anders spielen könnte, dann begannen wir noch mal von vorn.
    Und es war, als wir den Song zum zweiten Mal spielten, dass mir plötzlich irgendwas auf der anderen Seite des Lagerhauses auffiel – eine Bewegung, eine Veränderung des Lichts –, und als ich hinüberschaute … da sah ich William Bonney zum ersten Mal.
    Er war gerade zur Tür reingekommen, was den kurzen Lichtwechsel erklärte. Jetzt stand er bloß da, mit den Händen in den Hosentaschen, und beobachtete uns beim Spielen. Eine vorsichtige Neugier umgab ihn, wie bei einem wachsamen Tier, das etwas Unbekanntes untersucht. Offensichtlich war er fasziniert von uns, aber gleichzeitig hatte ich das Gefühl, als wäre er, wenn auch nicht ängstlich, so doch auf der Hut, um beim kleinsten Anzeichen einer Gefahr zu verschwinden. Er war relativ dünn und nicht allzu groß. Auf den ersten Blick hielt ich ihn für einen kleinen Jungen, vielleicht dreizehn oder vierzehn. Doch nachdem ich ihn eine Weile beobachtet hatte, wurde mir klar, dass ich falschlag. Er war jung … aber er war nicht so jung. Das Komische war, je länger ich ihn betrachtete, desto unsicherer wurde ich über sein Alter. Im einen Moment glaubte ich, er sei sechzehn oder siebzehn, im nächsten drehte er seinen Kopf leicht zur Seite … und plötzlich hatte er ein paar Jahre zugelegt. Und dann, nur einen Augenblick später, dachte ich, dass ich doch anfangs recht gehabt hatte und er dreizehn oder vierzehn war.
    Es war wirklich unheimlich.
    Auch die Art, wie er angezogen war, verwirrte mich irgendwie. Seine Sachen sahen ziemlich verschlissen aus, waren aber sauber. Er schien sie offenbar schon eine ganze Weile zu tragen. Sie wirkten aus der Mode gekommen – und dabei trotzdem zeitlos. Die Hose mit engen Beinen und einem braunen Ledergürtel, die glatten braunen Schuhe, die abgetragene schwarze Anzugjacke und das verwaschene weiße Baumwollhemd mit den ausgefransten Manschetten. Der Anblick erinnerte mich vage an herumstreunende Straßenkinder, die ich in einem Schwarzweißfilm aus den Fünfzigerjahren gesehen hatte.
    Ich musste ihn schon länger als zwanzig Sekunden beobachtet haben, als ich plötzlich merkte, dass er nicht mehr uns beim Spielen zusah, sondern ganz direkt mich anblickte. Meine instinktive Reaktion war wegzugucken, aber ich schien den Blick nicht von ihm lösen zu können. Nicht weil er atemberaubend gut aussah oder so – zumindest nicht im üblichen Sinn, so wie Curtis –, doch er hatte etwas an sich … etwas Undefinierbares, etwas ganz Spezielles. Seine Haare waren dunkelbraun, weder lang noch kurz, er hatte einen blassen Teint, ein etwas schiefes Lächeln und seine Augen … Gott, seine Augen. Sie strahlten in einem unfassbar reinen, leuchtenden Haselnussbraun … so klar und hell, so voller Leben …
    »Lili!«
    Ich schaute zu Curtis und plötzlich merkte ich, dass er aufgehört hatte zu spielen … alle hatten aufgehört zu spielen. Nur ich nicht. Der Song war zu Ende, aber ich spielte noch. Und alle sahen mich an.
    »Scheiße, verdammt, was machst du?«, fragte Curtis.
    Ich hörte auf. »Tut mir leid«, sagte ich und spürte, wie ich rot wurde. »Ich war … äh …«
    »Du warst was?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung … ich war einfach nur –«
    »Wer ist das?«, fragte Curtis, als er William registrierte. Er drehte sich zu ihm um. »Scheiße, wer bist du denn?«
    »Ich?«, fragte William und schaute zurück.
    »Ja, bist du zum Vorspielen hier?«
    »Zum was?«
    »Zum Vorspielen .«
    William lächelte. »Um was für ein Vorspielen geht’s denn?«
    Curtis seufzte. »Was willst du hier?«
    »Nichts.« William hob die Schultern. »Ich bin nur vorbeigekommen und hab die Musik gehört, das ist alles.« Er warf mir einen Blick zu und lächelte wieder, dann schaute er zu Curtis zurück. »Guter Song, gefällt mir.«
    Seine Stimme war weich und viel tiefer, als ich gedacht hatte, und er sprach mit stark nordirischem Akzent. »Soll ich gehen?«, fragte er Curtis.
    Curtis sah ihn schief an. »Nein … bloß … keine Ahnung. Warte mal kurz.« Er drehte sich zu Zitterflosse um. »Okay, danke … ja, das war gut. Haben wir deine Telefonnummer? Wir melden uns in ein paar Tagen bei dir, einverstanden?«
    Als Zitterflosse nickte und anfing, seine Gitarre zu verstauen, sah ich, wie William durch das Lagerhaus auf uns zugeschlendert

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