Live Fast, Play Dirty, Get Naked
hergejagt, dicht gefolgt von Jake und William, und obwohl er sensibel genug war, mich fürs Erste in Frieden zu lassen, konnte er trotzdem nicht den Mund halten.
»Sieht sie nicht super aus, Jake?«, hörte ich ihn sagen. »Ich meine, schau sie dir doch mal an.«
»Hm …«
»Jetzt schau doch mal.«
»Ja.«
»Billy?«
»Was ist?«
»Was meinst du ?«
»Wozu?«
»Zu Lili … was findest du, wie sie aussieht?«
»Ach so, verstehe … ich finde, sie sieht gut aus.«
Das reichte. Ich konnte es nicht mehr ertragen. Abrupt blieb ich stehen, drehte mich um und funkelte Curtis wütend an. »Okay!«, blaffte ich. »Das reicht ! Verdammte Scheiße … jetzt gib endlich Ruhe, ja?«
Mit einem breiten Lächeln hob er die Hände. »Okay, okay … tut mir leid …«
»Kein Wort mehr, ja?«
Immer noch lächelnd, presste er die Lippen zusammen und tat, als ob er sie mit einem Schlüssel verschließen würde.
»Scheiße«, murmelte ich, drehte mich um und ging weiter die Treppe hinunter.
Das nächste Mal, als er den Mund aufmachte, standen wir am Bahnsteig der U-Bahn-Station Seven Sisters und warteten auf den nächsten Zug. Er flüsterte Jake etwas zu und schaute zu William hinüber, und dann hörte ich ihn mit pseudo-irischem Akzent wiederholen: »Ach so, verstehe … ich finde, sie sieht gut aus.« Und als er lachte – wieder viel zu laut – und William zum Spaß gegen die Schulter stieß, hätte ich ihn umbringen können. Es war so armselig, sich nicht nur über Williams Akzent lustig zu machen, sondern auch – was in gewisser Weise noch schlimmer war – über die Worte, die Curtis erst vor ein paar Minuten William gezwungen hatte, über mich zu sagen. Selbst der Akzent war total falsch. Nicht dass das wirklich eine Rolle spielte, aber Curtis’ klischeehaft breiter irischer Akzent hatte überhaupt nichts mit Williams eindeutigem Belfaster Tonfall zu tun.
In diesem Moment hasste ich Curtis wirklich.
Aber ich sagte nichts.
Ich dachte, wenn ich es täte, würde alles noch schlimmer. Und William schien sowieso ganz locker damit umzugehen. Er sah ihn wieder mit festem Blick an und mit diesem Lächeln, das Curtis schon vorhin so verunsichert hatte. Diesmal war es für mich nicht ganz so schwer zu deuten: Es war der träge Blick, den ein Löwe einem Zebra schenkt, wenn er nicht hungrig ist.
Während der Fahrt mit der U-Bahn wurde tatsächlich alles noch schlimmer. Es war ein langer Weg, die ganze Zeit unter der Erde bis zur London Bridge. Und irgendwo unterwegs musste Curtis noch mal LSD oder irgendwas anderes eingeworfen haben, denn allmählich geriet er ganz außer Kontrolle – er sang und lachte, führte sich total übel auf, belästigtewildfremde Leute … es war einfach entsetzlich. Sogar Jake wurde allmählich nervös.
Als Curtis wieder aufstand, den Text von Naked grölte und durch den schaukelnden U-Bahn-Wagen taumelte, beugte sich William, der neben mir saß, herüber und sagte mir etwas ins Ohr.
»Es wär nicht schlecht, ihn dazu zu bringen, dass er sich hinsetzt.«
»Ja, ich weiß«, sagte ich, laut gegen das Rattern des Zuges anflüsternd. »Tut mir echt leid, das Ganze … normalerweise ist er nicht ganz so schlimm. Ich weiß, wie peinlich das alles ist –«
»So meine ich das nicht«, sagte William. »An der letzten Station sind ein paar F-Troops in den nächsten Wagen gestiegen, die haben deinen Freund jetzt schon eine ganze Weile im Blick. Wenn er sich nicht bald hinsetzt und die Klappe hält, gibt es Ärger.«
Ich schaute durch die Verbindungstür in den nächsten Wagen und erkannte ungefähr ein halbes Dutzend tätowierte Skinheads. Sie beobachteten Curtis mit purem Hass in den Augen. Es war ein Blick, an den ich mich in den kommenden Monaten zwangsweise gewöhnte – der Blick der Skinheads oder Teddy Boys oder Biker, die einen Punk zusammenschlagen wollten –, doch hier sah ich ihn zum ersten Mal. Und er behagte mir überhaupt nicht. Ich schaute zu Jake, doch der hatte anscheinend nicht vor, irgendwas zu unternehmen. Er saß nur halb stoned, halb in Todesangst da.
»Curtis!«, sagte ich und stand auf. »Curtis, es reicht.«
»Lass ihn«, sagte William, legte mir seine Hand auf die Schulter und drückte mich behutsam zurück auf den Sitz.»Ist zu spät. Die schnappen ihn sich, egal ob er weitersingt oder nicht.«
Ich schaute wieder zu den Skinheads hinüber. Sie waren jetzt alle an die Verbindungstür gerückt und hatten Curtis eindeutig ins Visier genommen. Auch er hatte sie
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