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Liverpool Street

Liverpool Street

Titel: Liverpool Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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stammelte ich. »Allein? Sind sie verrückt geworden?«
    »Es kann sein, dass Papa nicht mehr rechtzeitig zu uns stößt, Ziska.«
    »Wie können sie an so etwas nur denken? Ihre Kinder wegschicken! Was sind das für Eltern?«
    »Wenn ich die Karten morgen zurückgebe, bekommen wir einen Teil des Reisepreises erstattet und können es später noch mal versuchen.«
    »Du musst mit ihnen reden, das können sie doch nicht machen! – Was sagst du da?« In meiner Brust wurde es plötzlich eng. »Die Karten zurückgeben? Du meinst die Schiffskarten?«
    »Wenn sie Papa nicht bis nächsten Dienstag rauslassen, können wir nicht fahren.«
    Mamus Stimme zitterte. »Wieso sollten sie ihn nicht rauslassen?«, rief ich. »Wir haben doch die Papiere beisammen! Sie lassen doch alle gehen, die freiwillig das Land verlassen!«
    Jetzt kämpfte sie mit den Tränen. »Ich hab etwas ganz Dummes gemacht, Ziska. Ich hab sie auf den Termin aufmerksam gemacht. Gesagt, dass wir Anfang nächster Woche fahren müssen. Wie konnte ich nur? Wie der Kerl mich angesehen hat! Ob und wann wir Ihren Mann entlassen, bestimmen immer noch wir! Oh Ziska, ich hab’s vermasselt, es ist meine Schuld!«
    Meine Mutter presste die Hand vor den Mund. Ihr Gesicht zuckte. Ich saß wie erstarrt und versuchte zu begreifen, was sie mir sagen wollte. Sie würden Papa nicht rechtzeitig gehen lassen. Unsere Ausreise nach Shanghai war geplatzt. Das Schiff würde ohne uns ablegen.
    »Es tut mir so leid, Ziskele«, schluchzte Mamu.
    Ich setzte mich neben sie auf den Badewannenrand und lehnte mich an ihre Schulter. Am liebsten hätte ich mitgeweint, stattdessen hörte ich mich in entschlossenem Ton sagen: »Hör auf! Das wollen sie doch nur, dass wir uns selbst die Schuld geben. Dann tauschen wir eben die Karten um und nehmen welche für das nächste Schiff – so lange, bis sie Papa freilassen.«
    Mamu beruhigte sich bereits wieder. »Oder bis uns das Geld ausgeht«, sagte sie. »Was sehr bald der Fall sein könnte, wie es aussieht. Wir müssen auch eine neue Ausreisegenehmigung besorgen. Aber du hast Recht, wir geben nicht auf. Ich frage mich nur …«
    Sie brach ab. »Was?«, forschte ich.
    »Ob wir nur auf Shanghai setzen oder nicht lieber alle Möglichkeiten ausschöpfen sollten, die sich uns bieten.«
    »Aber das tun wir doch. Wir stehen doch schon auf allen Listen.«
    »Nun«, sagte Mamu, »auf einer noch nicht.«
    Sie wagte kaum, mich anzusehen. Diesmal begriff ich sofort. »Nein«, sagte ich schwach. »Das mach ich nicht.«
    »Ziska, du weißt nicht, was es für mich bedeuten würde, dich in Sicherheit zu wissen.«
    »Aber ich gehe nicht allein! Das kannst du gleich wieder vergessen!« Nun traten mir doch die Tränen in die Augen. »Ohne Papa willst du nicht gehen, aber ich … ich soll …«
    Es tat zu weh, um es auszusprechen. In den letzten Wochen waren Mamu und ich uns sehr nahegekommen, so nahe, dass ich beinahe vergessen hatte, wie es vorher gewesen war. Wie oft wir gestritten hatten, wie wenig ich ihr recht machen konnte. Wie ausgeschlossen ich mich neben meinen Eltern oft gefühlt hatte …
    Mamu drehte sich zu mir und ergriff meine Hände. »Papa braucht mich jetzt, Ziska. Er zählt auf mich, ich muss ihn da rausholen. Aber du bist ein großes Mädchen, ein starkes Mädchen! Ein Mädchen, das im Dunkeln in einen Baum springt! In letzter Zeit bist so oft du es gewesen, die mir gesagt hat, was ich tun soll …«
    Ich konnte sie kaum erkennen vor lauter Tränen. »Mamu, nein! Ich mache alles, was du willst, ich will auch nie mehr mit den Kleinen streiten, aber bitte, schick mich nicht fort!«
    »Ich tue nichts gegen deinen Willen, Ziskele«, sagte sie müde und ließ meine Hände wieder los. »Aber wenn du dich entscheidest, denk bitte auch daran, was du für deine Eltern tun könntest. Du könntest in England versuchen, eine Arbeitserlaubnis für Papa und mich zu bekommen. Dann würde es gar nicht lange dauern und wir wären wieder bei dir – in Sicherheit, wir alle drei.«
    Panik überkam mich. Hätte ich doch nur nichts gesagt! Bekka hat gewollt, dass ich es für mich behalte, aber nein, ich habe nichts Eiligeres zu tun, als es herauszuposaunen!
    »Wir könnten vielleicht schon bald nachkommen«, wiederholte Mamu. »Überleg es dir.«
    Das Erste, was mir auffiel, als wir das Gebäude betraten, war, dass niemand lachte. Dutzende Kinder und ihre Eltern standen in einer langen Schlange; ein erwartungsvolles Murmeln erfüllte die Luft, das mich an

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