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Lob der Faulheit

Lob der Faulheit

Titel: Lob der Faulheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Hohensee
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wusste, sind es die Meinungen über die Tatsachen, die zu unseren Reaktionen führen. Wir fühlen und handeln so, wie wir denken. Es sind nicht die großen Hunde, die einen ängstigen, sondern der Gedanke, sie könnten einen beißen. Wer das nicht denkt, hat auch keine Angst. Genauso wenig kann eine Scheidung jemanden deprimieren. Erst die negativen Gedanken darüber ziehen unangenehme Gefühle nach sich. Und auch die Zugverspätung vermag niemanden zu ärgern. Das wäre pure Magie. Verärgerung kommt nur auf, wenn jemand die absolute Forderung erhebt, dass jeder Zug pünktlich sein muss.
     
    Da ich in meinen anderen Büchern näher auf das ABC des Fühlens und Handelns eingegangen bin, will ich hier nicht sämtliche Folgerungen diskutieren. Nur einen Einwand, der häufig gemacht wird, will ich aufgreifen. »Aber ist es nicht gut, dass ich mich ärgere oder mir Sorgen mache?« Das kommt darauf an. Es gibt gesunde und ungesunde Reaktionen. Ärger kann einen motivieren, einen Missstand zu ändern. Wenn jemand jedoch so aggressiv wird, dass er andere beschimpft und körperlich angreift, ist der Ärger nicht mehr konstruktiv. Sorgen können ein
Grund sein, beispielsweise vorbeugende Maßnahmen gegen Krankheiten zu treffen. Wenn man jedoch zum Hypochonder wird und panische Angst vor normalen Wehwehchen entwickelt, schadet man sich mit seinen Übertreibungen.
     
    Viele Psychologen haben heute das A-B-C-Modell stillschweigend übernommen. Manche behaupten jetzt, sie hätten nie etwas Anderes praktiziert. Hier gilt wieder das Gesetz von der Ausbreitung neuer Erkenntnisse. Erst werden sie ignoriert, dann lächerlich gemacht, anschließend angegriffen und bestritten, und schließlich sagen alle, sie hätten es schon immer gewusst, es sei ja nichts Neues.
     
    Aaron T. Beck hat Ellis’ These gründlich erforscht, zunächst bei Depressionen, später auch bei Ängsten. Sie erwies sich als zutreffend. Die Kognitive Therapie gilt heute als eines der wenigen wissenschaftlich begründeten Verfahren in der Psychotherapie. Sie wird inzwischen unter verschiedenen Namen praktiziert. Manchmal werden verwandte Schulen nur aus Konkurrenzgründen gegründet. In anderen Fällen sind ein paar Ergänzungen hinzugekommen, die sinnvoll sein mögen. Albert Ellis hat seine Methode Rational-Emotive Verhaltenstherapie genannt.
     
    Die wenigsten denken wirklichkeitsgemäß. Das A-C-Modell besitzt den verführerischen Charme, einem die Verantwortung für sein Denken, Fühlen und Handeln abzunehmen. Man darf sich als Opfer der Umstände fühlen. Der Preis ist jedoch hoch. Man macht sich damit zum Spielball seiner Umgebung.
     
    Es erfordert einige Übung, das Denken gründlich zu überprüfen, um es von verzerrenden, übertriebenen Vorstellungen zu befreien. Jeder wird in unserer Gesellschaft mit Ideen groß, die
irrational sind. Menschen neigen dazu, die Dinge misszuverstehen. Sie glauben, eine Scheidung sei eine Katastrophe, während sie in Wirklichkeit eine zerrüttete Beziehung beendet und einen Neuanfang ermöglicht.

     
    Manche verrückten Überzeugungen werden nur innerhalb einer Familie geteilt, andere beherrschen eine Region, eine Kultur, eine Nation oder die gesamte Welt. Ein Beispiel für Letzteres ist der irrtümliche Glaube, dass die Sonne sich um die Erde dreht. Das dachte zunächst jeder, weil es der unmittelbaren Anschauung zu entsprechen scheint. Die Sonne wandert von Ost nach West. In Wahrheit ist es jedoch die Erde, die sich dreht. Welche Ideen, von denen wir heute noch überzeugt sind, werden sich morgen als vollkommen falsch erweisen?
     
    Ist Disziplin wirklich so erstrebenswert, wie manche meinen? Hilft uns Fleiß tatsächlich noch weiter? Aus meiner Sicht wird Faulheit falsch bewertet. Sie kann negativ sein, wenn jemand dadurch Leben, Gesundheit oder Beziehungen schädigt. Auf der anderen Seite kann sie sich als vorteilhaft erweisen. Faulheit schützt vor blindem Aktionismus. Menschen wehren sich damit gegen Fremdbestimmung, indem sie sich den Forderungen anderer verweigern. So gesehen, ist sie eine vielversprechende Form des passiven Widerstands.
     
    Gandhi hat seine Landsleute im Kampf um die Unabhängigkeit Indiens mit großem Erfolg zu zivilem Ungehorsam aufgefordert. Viele Inder haben nicht mehr das getan oder nur noch mit geringem Einsatz, was die Kolonialmacht von ihnen verlangte. Nicht Gewalt, sondern positive Faulheit hat am Ende gesiegt.

    Jeder ist motiviert
    Die Verfechter der Disziplin glauben, dass niemand

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