Lob der Faulheit
wiederkehrende Krisen im Wirtschafts- und Finanzsystem, soziale Unruhen, Verelendung, Kinderarmut, mangelnde Chancengleichheit, Wahlverweigerung, Working poor (Menschen, die arm sind und bleiben, obwohl sie hart arbeiten), Spaltung der Gesellschaft und vieles mehr.
Zu den Folgen der repressiven Politik gehört auch, dass sich die Spitzenpolitiker weltweit nur noch unter Polizeischutz treffen können. Als ich Kind war, fuhren die amerikanischen Präsidenten
noch, von der Bevölkerung in Berlin umjubelt, in offenen Limousinen durch die Stadt. Wenn heute ein Präsident anreist, ist er nur noch per Hubschrauber unterwegs, die Gullydeckel werden verschweißt und die Straßen weiträumig gesperrt. Begegnungen finden nur noch mit handverlesenen BürgerInnen statt.
Der G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm ist vielen noch in Erinnerung. Falls nicht, haben Sie im Internet die Möglichkeit, noch einmal nachzulesen, was dieses Treffen gekostet hat und wie umfangreich die Sicherungsmaßnahmen waren. Keine dieser internationalen Konferenzen ist mehr ohne Verletzte und manchmal sogar Tote unter den Demonstranten möglich. Für Demokratien ist das beschämend.
Dabei sind Disziplin, Zwang und die damit einhergehenden individuellen, gesellschaftlichen und politischen Folgen vollkommen unnötig.
Ich habe bereits beschrieben, dass wir nicht mehr unter Mangel, sondern Überfluss leiden. Lange Arbeitszeiten wären bei einer neuen Verteilung der Aufgaben und des Einkommens unnötig. Gewaltfreie Kommunikation könnte die sozialen Spannungen in der Familie, in den Schulen, am Arbeitsplatz und in der politischen Auseinandersetzung abbauen. Der amerikanische Psychologe und Mediator Marshall Rosenberg und andere haben dafür ausgezeichnete Modelle vorgelegt, die sich in der Praxis bewährt haben.
Anstelle der Disziplin sind intelligentere Lösungen denkbar. Um sich und andere zu motivieren, eignet sich beispielsweise die von William Miller und Stephen Rollnick entwickelte motivierende Gesprächsführung (motivational interviewing) sehr gut. Sie nimmt wenig Zeit in Anspruch und hat den großen Vorteil, dass sie sich nicht missbrauchen lässt. Wer keine guten Gründe hat, etwas zu tun, ist mit dieser Methode nicht zum Handeln zu bringen. Mehr dazu im Kapitel »Gut leben ohne Disziplin und Willensstärke«.
Wir brauchen keinen Zwang.
Das ABC, das Sie in der Schule nicht gelernt haben
Wenn einmal die Geschichte der Psychologie geschrieben wird, werden die Namen Albert Ellis und Aaron T. Beck ganz weit vorne stehen. Das ist nicht nur die Überzeugung Martin Seligmans, der selbst einige bedeutende Beiträge zu dieser noch jungen Wissenschaft geleistet hat.
Welche Entdeckung hat Albert Ellis 1955 gemacht, die ihm in der Fachwelt so viel Ruhm eingetragen hat? Nachdem er einige Jahre Zeit erfolglos Psychoanalyse bei seinen PatientInnen angewandt hatte, war er auf der Suche nach wirksameren Methoden. Dabei stieß er auf einen Satz des Philosophen Epiktets: Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Urteile und Meinungen über sie. Diese Erkenntnis löste eine Revolution in der Psychotherapie aus.
Bis dahin war man sich einig, dass Menschen auf die äußeren Umstände reagieren. Die Verhaltenstherapeuten waren sehr stolz auf ihr A-C-Modell. Es war ein einfaches Reiz-ReaktionsSchema mit A als äußerem Reiz und C als dem äußeren Verhalten. Sie hatten beobachtet, dass ein bestimmtes Objekt, zum Beispiel eine Schlange, zu einem vorhersagbaren Verhalten der Versuchspersonen führt (Angst, Flucht). Damit glaubten sie, die Psychologie von allen subjektiven Phänomenen wie Gedanken, Fantasien und Erwartungen, die sich allein in der inneren Welt der Menschen zutrugen, befreit zu haben. Objektivität galt als das Ideal reiner Wissenschaft.
Leider hatten die Behavioristen damit ein Modell aufgestellt, das ausgerechnet das Wichtigste bei Menschen (und wahrscheinlich auch bei allen höher entwickelten Tiere) ausklammerte. Menschen denken und fühlen. Allerdings war ihr Fehler naheliegend: bildet doch auch die Alltagssprache das A-C-Modell ab. Man sagt ganz selbstverständlich: »Große Hunde machen ihm Angst«, »Die Scheidung ihrer Eltern hat die Kinder deprimiert« oder »Die Verspätung des Zugs ärgert die Reisenden«.
Sehr wahrscheinlich halten auch Sie diese Aussagen für wahr. Fast jeder glaubt, dass die Dinge selbst Gefühle und Verhalten auslösen. Aber wie Epiktet schon vor 2.000 Jahren
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