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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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entgehen, hatte er sich hinter Buschwerk versteckt, das am Rand des Dammes wuchs, der neben dem Pfad herlief, einer günstigen Stelle, von wo aus er dem ganzen Schauspiel hätte zusehen können, ohne gesehen zu werden. Der Dichter wollte mit dem Kampf nichts zu tun haben. Die politischen und religiösen Neigungen sowohl der Flüchtlinge als auch der Reitersoldaten waren ihm völlig gleichgültig. Wenn das Schicksal ein Gemetzel plante, so hätte es keinen weniger teilnahmslosen Zeugen finden können als den Dichter. Woher also diese blinde Anwandlung?
    Die Anwandlung hatte ihn vom Damm springen lassen; er packte den Reiteroffizier im Sattel und stach dreimal mit dessen eigenem Koppelmesser auf ihn ein, bevor die zwei zu Boden stürzten. Er konnte nicht begreifen, warum er es getan hatte. Nichts war erreicht worden. Die Leute des Offiziers hatten ihn niedergeschossen, bevor er noch auf die Beine kommen konnte. Das Abschlachten der Flüchtlinge war weitergegangen. Dann waren alle in Verfolgung weiterer Flüchtlinge fortgeritten und hatten die Toten hinter sich liegengelassen.
    Er konnte hören, wie es in seinem Unterleib knurrte. Ach, die Vergeblichkeit, eine Gewehrkugel verdauen zu wollen. Er fand schließlich, daß er die nutzlose Tat wegen der Sache mit dem stumpfen Säbel begangen hatte. Hätte der Offizier die Frau bloß mit einem einzigen glatten Streich aus dem Sattel gesäbelt und wäre weitergeritten, der Dichter würde die Tat überhaupt nicht beachtet haben. Aber auf diese Art weiter und weiter dreinzuhauen…
    Er wollte es sich nicht wieder vor Augen rufen. Wasser kam ihm in den Sinn.
    »O Gott – o Gott…«, jammerte der Offizier immer wieder.
    »Das nächstemal schleifst du dein Besteck lieber schärfer«, keuchte der Dichter.
    Es würde kein nächstesmal geben.
    Der Dichter konnte sich nicht erinnern, jemals den Tod gefürchtet zu haben, doch hatte er die Vorsehung oft im Verdacht gehabt, sie plane für ihn als Todesart das Gräßlichste, wenn seine Zeit zu sterben kam. Er hatte erwartet, lebendig zu verfaulen. Langsam und nicht gerade wohlriechend. Eine poetische Ahnung hatte ihn wissen lassen, daß er bestimmt als gedunsener, aussätziger Pilz sterben würde, wie ein Feigling bußwillig, aber unbußfertig. Er hatte nie etwas so Dumpfes und Endgültiges wie eine Kugel im Bauch erwartet; nicht einmal Publikum war anwesend, um seine letzten Geistreicheleien anzuhören. Das letzte, was man ihn sagen hörte, als man auf ihn schoß, war: »Aauu!« – sein Vermächtnis an die Nachwelt, aauu! – eine Denkwürdigkeit für Euch, Domnissime.
    »Vater? Vater?« stöhnte der Offizier.
    Nach einer Weile nahm der Dichter seine Kräfte zusammen und hob wieder sein Haupt, entfernte mit einem Blinzeln Schmutz aus seinem Auge und betrachtete einige Sekunden lang den Offizier. Er war sich sicher, daß der Offizier derjenige war, den er angegriffen hatte, obwohl der Kerl sich grünlich-kalkweiß verfärbt hatte. Diese Art, nach einem Priester zu blöken, begann den Dichter aufzuregen. Mindestens drei Geistliche lagen tot unter den Flüchtlingen; aber jetzt war der Offizier nicht mehr erpicht, sich so peinlich genau an seinen konfessionellen Glauben festzuklammern. Vielleicht nimmt er mit mir vorlieb, dachte der Dichter.
    Langsam fing er an, sich auf den Reiteroffizier zuzuschleppen.
    Der Offizier sah ihn kommen und griff nach einer Pistole. Der Dichter hielt an. Er hatte nicht damit gerechnet, gesehen zu werden. Er machte Anstalten, sich in Deckung zu rollen. Die Pistole zielte schwankend in seine Richtung. Einen Augenblick beobachtete er ihr Schwanken, dann beschloß er, seine Annäherung fortzusetzen. Der Offizier drückte den Abzug. Der Schuß ging leider um Meter daneben.
    Als der Offizier versuchte, wieder zu laden, nahm ihm der Dichter die Waffe weg. Er schien zu fantasieren und versuchte immer wieder, sich zu bekreuzigen.
    »Nur weiter so«, brummte der Dichter und fand das Messer.
    »Gib mir den Segen, Vater; ich habe gesündigt…«
    »Ego te absolvo, mein Sohn«, sagte der Dichter und trieb ihm das Messer in die Kehle.
    Danach stieß er auf die Feldflasche des Offiziers und trank einen Schluck daraus. Das Wasser war in der Sonne heiß geworden, aber es kam ihm köstlich vor.
    Er lag mit dem Kopf gegen das Pferd des Offiziers gestützt und wartete, daß der Schatten des Hügels über den Weg kriechen würde. Jesus, das tat weh! Es wird mir nicht so leichtfallen, dieses letzte bißchen Zeit zu rechtfertigen,

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