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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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vermute, Ihr habt das drüben in der Abteilung ›Vermischtes‹ gefunden?« fragte er den Thon nach einigen Sekunden.
    »Ja, aber…«
    Der Abt las weiter.
    »Nun, ich nehme an, ich packe besser meine Sachen zusammen«, brummte der Gelehrte und fuhr fort, seine Papiere zu ordnen. Die Mönche bewegten sich unruhig hin und her, als wollten sie sich gern davonstehlen. Kornhoer brütete vor sich hin.
    Nach einigen Minuten des Lesens zufrieden gab Dom Paulo die Zettel unvermittelt seinem Prior. »Lege!« befahl er barsch.
    »Aber worum…?«
    »Anscheinend um ein Fragment eines Theaterstücks oder eines Dialogs. Ich habe es schon mal gesehen. Es ist etwas über bestimmte Leute, die sich künstliche Menschen als Sklaven erschaffen. Und die Sklaven erheben sich gegen ihre Schöpfer. Wenn Thon Taddeo De Inanibus des ehrwürdigen Boedullus gelesen hätte, würde er dies hier als vermutlich sagenhaft oder allegorisch bezeichnet gefunden haben. Aber da der Thon sich ein eigenes Urteil bilden kann, wird er wohl für das des ehrwürdigen Boedullus wenig übrig haben.«
    »Aber um welche Art von…«
    »Lege!«
    Gault trat mit den Aufzeichnungen beiseite. Paulo wandte sich wieder dem Gelehrten zu und sprach höflich, belehrend, mit Nachdruck: »›Zum Bilde Gottes schuf Er sie: und schuf sie einen Mann und ein Weib‹.«
    »Meine Bemerkungen waren nur Vermutung«, sagte Thon Taddeo. »Es ist notwendig, den Gedanken Freiheit zu…«
    »›Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn bebaue und bewahre. Und…‹«
    »… zu gewähren, um die Wissenschaft voranzubringen. Wenn Ihr uns lieber durch blindes Beharren, durch fraglos hingenommene Dogmen eingeengt seht, so zieht Ihr vor…«
    »›…Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach: Du sollst essen von allerlei Bäumen im Garten; aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du…‹«
    »… die Welt in derselben dunklen Unwissenheit und im Aberglauben zu belassen, von denen Ihr sagt, Euer Orden hätte dagegen…«
    »›… nicht essen; denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.‹«
    »… angekämpft. Weder hätten wir je den Hunger, Krankheiten und Mißgeburten besiegt, noch die Welt auch nur um ein winziges Bißchen besser gemacht, als sie es…«
    »›Und die Schlange sprach zum Weibe: Gott weiß, daß, welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott, und wissen, was gut und böse ist.‹«
    »… zwölf Jahrhunderte lang war, wenn den Gedanken jedes Gebiet verschlossen sein soll, und jeder neue Gedanke gebrandmarkt…«
    »Sie war nie besser, und sie wird nie besser sein. Sie wird nur reicher oder ärmer, unglücklicher, aber nicht klüger sein, bis zum allerletzten Tag.«
    Der Gelehrte hob hilflos die Schultern. »Seht Ihr? Ich wußte, daß Ihr verletzt sein würdet, aber Ihr sagtet mir – ach, wozu das alles? Ich habe Euren Bericht angehört!«
    »Der ›Bericht‹, den ich zitierte, Herr Philosoph, war kein Bericht über die Art der Schöpfung, sondern ein Bericht über die Art der Versuchung, die zum Sündenfall führte. Ist Euch das entgangen? ›Und die Schlange sprach zum Weibe…‹«
    »Ja, ja, aber die Gedankenfreiheit ist von wesentlicher…«
    »Niemand hat versucht, sie Euch zu nehmen. Genausowenig ist jemand verletzt. Aber den Verstand mißbrauchen, aus Gründen des Stolzes, der Eitelkeit oder um einer Verantwortlichkeit zu entfliehen, ist eine Frucht eben jenes Baumes.«
    »Ihr glaubt nicht an die Ehrlichkeit meiner Beweggründe?« fragte der Thon mit düster werdendem Blick.
    »Manchmal traue ich selbst meinen eigenen Beweggründen nicht. Ich werfe Euch nichts vor. Doch fragt Euch selbst: Wieso habt Ihr so ein Vergnügen daran, ein so ungeheures Gedankengebäude auf solch unsicheren Grund zu stellen? Warum wollt Ihr die Vergangenheit in Verruf bringen, ja selbst die letzte Kultur entmenschen? Damit Ihr aus ihren Fehlern nichts zu lernen braucht? Oder kann es sein, daß Ihr es nicht ertragt, bloß ein ›Wiederentdecker‹ zu sein, und daß Ihr Euch unbedingt auch als ›Schöpfer‹ fühlen müßt?«
    Der Thon zischte einen Fluch. »Diese Schriftstücke gehören in die Hände zuständiger Leute«, sagte er ärgerlich. »Das Ganze ist ein schlechter Witz.«
    Das Licht flackerte auf und erlosch. Kein mechanisches Versagen; die Novizen im Drehkreuz waren stehengeblieben.
    »Holt Kerzen«, rief der Abt.
    Man brachte Kerzen.
    »Komm herunter«,

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