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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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Francis ließ einige Monate verstreichen, in denen er während seiner Freizeit ein paar ältere Lichtpausen aus den Beständen der Denkwürdigkeiten nachzeichnete, bevor er sich an die Blaupause des Leibowitz wagte. Wenn man die alten Zeichnungen für wert hielt, aufbewahrt zu werden, mußte man sie sowieso alle ein-, zweihundert Jahre wieder kopieren. Nicht nur bleichten die Originale aus, sondern häufig wurden auch die Nachzeichnungen nach einiger Zeit fast unleserlich, auf Grund der Unbeständigkeit der verwendeten Tinten. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, warum die Alten weiße Linien und Buchstaben auf dunklen Hintergrund gesetzt hatten, an Stelle es umgekehrt zu machen. Wenn er den Rohentwurf eines Planes mit Holzkohle hinzeichnete, sah dieser jetzt umgekehrt dunkel auf hellem Hintergrund viel wirklichkeitsgetreuer als das Weiß vor Dunkel aus. Die Alten waren aber so unendlich klüger als Francis: wenn sie sich die Mühe gemacht hatten, überall dorthin Tinte zu malen, wo sonst eigentlich weißes Papier war, und weiße Streifen stehen zu lassen, wo sonst in einer direkten Zeichnung ein Tintenstrich erscheinen würde, dann müssen sie schon ihre guten Gründe gehabt haben. Francis war in seinen Kopien so genau, daß sie von den Vorlagen fast nicht zu unterscheiden waren – obwohl das Unterfangen, blaue Tinte um winzige Buchstaben herum aufzutragen, höchst ermüdend war und nicht gerade wenig Tinte verschlang, eine Tatsache, die Bruder Horner Anlaß zum Nörgeln gab.
    Er kopierte eine alte Architekturpause, dann eine Zeichnung für einen Maschinenteil, dessen geometrisches Linienwerk durchschaubar war, dessen Zweck aber unklar blieb. Er zeichnete eine mandalaförmige, abstrakte Konstruktion ab, die den Titel trug: STÄNDER WICKLG. MOD. 73-A 3 PH. 6 P. 1800 UPM 5 PS CL-A KÄFIGANKER. Das erwies sich als völlig unverständlich, das schien gar nichts mit einem Anker zu tun zu haben. Die Alten waren oft spitzfindig. Vielleicht benötigte man einen Satz besonderer Spiegel, um den Anker erkennen zu können. Auf jeden Fall zeichnete er alles gewissenhaft ab.
    Erst nachdem ihn der Abt, der gelegentlich durch die Kopierstube kam, wenigstens dreimal über einer anderen Blaupause hatte sitzen sehen (zweimal blieb der Abt stehen, um einen kurzen Blick auf Francis’ Arbeit zu werfen), nahm er seinen ganzen Mut zusammen, um sich in den Beständen der Memorabilien nach der Blaupause des Leibowitz umzusehen, fast ein ganzes Jahr, nachdem er sein Freizeitprojekt begonnen hatte.
    Das Originalschriftstück war in gewissem Umfang schon Wiederherstellungsarbeiten unterzogen worden. Abgesehen von der Tatsache, daß sie den Namen des Seligen trug, unterschied sie sich zu seiner Enttäuschung kaum von den anderen, die er schon abgezeichnet hatte.
    Die Leibowitzpause, wieder ein abstrakter Plan, ließ an überhaupt nichts denken, am allerwenigsten an irgendeine Bedeutung. Er betrachtete sie, bis er sich die ganze erstaunliche Verworrenheit bei geschlossenen Augen vorstellen konnte, wußte aber deshalb auch nicht mehr als zuvor. Es schien nichts anderes zu sein als ein Flechtwerk von Linien, die ein Flickwerk von Weißnichtwas, Klecksen, Batzen, Plättchen und Dingsbumsen verbanden. Die Linien verliefen fast ausschließlich senkrecht oder waagrecht und kreuzten sich entweder mit einem kleinen Bogenzeichen oder einem Punkt. Sie machten rechtwinklige Wendungen, um die Weißnichtwas zu umgehen, und hörten nie einfach so in der Mitte auf, sondern endeten immer in einem Klecks, Batzen, Fleck oder Dingsbums. Es war ohne jeden Sinns, so daß eine längere Weile darauf zu starren von betäubender Wirkung war. Nichtsdestotrotz begann er mit der Arbeit, jedes winzigste Detail zu kopieren, sogar einen bräunlichen Fleck in der Mitte, den er für einen Blutspritzer des Seligen hielt. Bruder Jeris meinte dagegen, es handle sich um den Fleck, den ein verfaulter Apfelbutzen hinterlassen habe.
    Bruder Jeris, der zur gleichen Zeit wie Bruder Francis als Lehrling in die Kopierstube eingetreten war, schien sich einen Spaß daraus zu machen, ihn wegen seines Vorhabens aufzuziehen. »Sag mir doch bitte, gelehrter Bruder«, fragte er über die Schulter von Francis spähend, »was bedeutet ›Transistorisiertes Kontrollsystem für Einzelteil sechs b‹?«
    »Das ist ganz klar der Titel dieses Schriftstücks«, sagte Francis etwas ärgerlich.
    »Ganz klar. Aber was bedeutet es?«
    »Es ist der Name des Diagramms, das hier vor deinen Augen liegt, Bruder

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