Lobgesang auf Leibowitz
meine Studierstube.«
Den Bibliothekar verließ der Mut. »Ich hole die Leiter, Vater Abt«, flüsterte er und schlich schwankend davon.
Dom Paulo blickte zum Heiland am Kreuz unter dem Bogen hinauf. Macht es Dir etwas aus? hätte er gern wissen mögen.
Er spürte, wie sein Magen sich zusammenzog. Der Magen würde sich später an ihm rächen. Er verließ den Keller, bevor noch jemand sein Unwohlsein bemerken konnte. Es war nicht angebracht, die Gemeinschaft sehen zu lassen, wie sehr ihn neuerdings so eine belanglose Unstimmigkeit mitnehmen konnte.
Die Aufstellung war am nächsten Tag abgeschlossen, aber Dom Paulo blieb während der Erprobung in seiner Studierstube. Er hatte sich zweimal gezwungen gesehen, Bruder Armbruster unter vier Augen zu ermahnen, und dann hatte er ihn öffentlich vor dem Kapitel tadeln müssen. Dennoch hatte er mehr Verständnis für die Einstellung des Bibliothekars als für die Kornhoers. Er saß zusammengesunken an seinem Pult und wartete auf Neuigkeiten aus dem Keller; ob die Erprobung ein Erfolg oder Fehlschlag werden würde, das war ihm fast gleichgültig. Er hielt eine Hand vorn in sein Habit gesteckt und tätschelte die Magengegend, als wollte er versuchen, ein launisches Kind zu beruhigen.
Wieder die inneren Krämpfe. Sie schienen immer aufzutreten, wenn Unstimmigkeiten in der Luft lagen, und ließen manchmal wieder nach, wenn die Unstimmigkeiten offen ans Licht kamen und er sich auf sie stürzen konnte. Doch jetzt ließen sie gar nicht nach.
Er wußte, daß er gewarnt worden war. Ob diese Warnung nun von einem Engel oder einem bösen Geist kam oder seinem eigenen Gewissen entstammte, sie besagte, daß er sich vor sich selbst und einer Begebenheit, die ihr Gesicht noch nicht zeigte, in acht zu nehmen habe.
Was nun? fragte er und gestattete sich, leise aufzustoßen. Danach ein ebenso leises Verzeihung in Richtung der Statue des Sankt Leibowitz, die in einer schreinartigen Nische in der Ecke der Studierstube stand.
Über die Nase des heiligen Leibowitz kroch eine Fliege. Die Augen des Heiligen sahen aus, als schielten sie nach der Fliege in der dringenden Bitte an den Abt, sie zu verscheuchen. Die holzgeschnitzte Figur aus dem sechsundzwanzigsten Jahrhundert war dem Abt ans Herz gewachsen: ihr Gesicht zeigte ein solch merkwürdiges Lächeln, daß sie als kirchliches Kunstwerk recht ungewöhnlich wirkte. Ein Mundwinkel war vom Lächeln nach unten gebogen, und die Augenbrauen waren in einem leicht zweifelnden Stirnrunzeln tief herabgezogen, obgleich die Augenwinkel von Lachfalten durchzogen waren. Zusammen mit dem Henkerseil, das über eine Schulter hing, schien der Heilige den Beschauer oft durch seinen Gesichtsausdruck zu verwirren. Vielleicht rührte der Ausdruck von geringfügigen Unregelmäßigkeiten in der Maserung des Holzes her. Die Unregelmäßigkeiten hatten sich der Hand des Schnitzers aufgezwungen, als diese Hand versuchte, die Einzelheiten feiner auszuarbeiten, als das bei diesem Holz möglich war. Dom Paulo war sich nicht sicher, ob das Bildnis schon durch das Wachstum des lebenden Baumes vor dem Schnitzen vorgeformt worden war oder nicht. Manchmal hatten die geduldigen Meisterbildhauer jener Zeit mit einer jungen Eiche oder Zeder angefangen und hatten – durch mühevolle Jahre des Beschneidens, Entrindens, Biegens und Festzurrens lebender Äste in bestimmten Lagen – den wachsenden Baum in eindrucksvoll dryadische Gestalt gezwungen, die Arme verschränkt oder hoch in die Luft erhoben, bevor sie den ausgewachsenen Baum fällten, um ihn zu behauen, zu trocknen und zurechtzuschnitzen. Das so entstandene Standbild war ungewöhnlich widerstandsfähig gegen Splittern oder Brechen, da die meisten Konturen des Werks der natürlichen Maserung folgten.
Dom Paulo erstaunte oft darüber, daß sich der hölzerne Leibowitz durch die Jahrhunderte auch seinen vielen Vorgängern gegenüber als widerstandsfähig erwiesen hatte – staunte wegen des höchst sonderbaren Lächelns des Heiligen. Dieses stille Grinsen wird dich eines Tages ins Verderben stürzen, warnte er das Bildwerk… Ohne Zweifel können die Heiligen im Himmel nicht umhin zu lachen. Der Psalmist spricht, daß Gott selbst zufrieden lachen werde, aber Abt Malmeddy kann das nur mißbilligt haben, Gott schenke ihm die ewige Ruhe. Dieser gravitätische Schafskopf! Ich frage mich, wie du ihm durch die Finger schlüpfen konntest? Manchen siehst du nicht scheinheilig genug aus. Dieses Lächeln – ich kenne irgend
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