Lobgesang auf Leibowitz
sich so ihre fachliche Bewunderung aus.«
Pater Gault blickte grübelnd über die Wüste nach Osten hin. »Wenn ich mir’s so überlege, falls ein Heer vorhätte, nach Westen durch die Ebene vorzustoßen, müßte es wahrscheinlich hier in der Gegend eine Garnison errichten, bevor es nach Denver weiterzöge.« Er dachte einige Augenblicke nach und fing an, besorgt auszusehen. »Und hier haben sie eine Festung, die nur auf sie zu warten scheint.«
»Ich fürchte, daß sie auch darauf gekommen sind.«
»Glaubt Ihr, daß man sie als Spione mitgeschickt hat?«
»Nein, nein. Ich bezweifle, daß Hannegan jemals von uns gehört hat. Aber jetzt sind sie da, sie sind Offiziere, und sie können es nicht lassen, sich umzusehen und Pläne zu schmieden. Und jetzt ist es sehr wahrscheinlich, daß Hannegan von uns hören wird.«
»Was werdet Ihr tun?«
»Ich weiß noch nicht.«
»Warum nicht mit Thon Taddeo darüber sprechen?«
»Die Offiziere gehören nicht zu seinen Dienern. Man hat sie nur als seine Schutzmannschaft mitgeschickt. Was könnte er schon machen?«
»Er ist Hannegans Verwandter, und er hat Einfluß.«
Der Abt nickte. »Ich werde mir etwas ausdenken, wie ich in dieser Angelegenheit an ihn herantreten kann. Trotzdem werden wir erst eine Weile beobachten, was noch so vor sich geht.«
Während der folgenden Tage beendete Thon Taddeo seine Untersuchung der Auster, und offensichtlich zufrieden, nicht nur eine vermummte Miesmuschel vorzufinden, richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Perle. Das Unterfangen war nicht einfach.
Der Gehilfe häufte einige Pfund Notizzettel für den Thon auf. Den fünften Tag nahm Thon Taddeos Tempo zu, und sein Verhalten zeigte die Ungeduld eines hungrigen Jagdhundes, der die Spur köstlichen Wildes entdeckt.
»Prächtig!« Er schwankte zwischen Jubel und belustigter Ungläubigkeit. »Fragmente eines Physikers des zwanzigsten Jahrhunderts! Die Gleichungen sind sogar folgerichtig.«
Kornhoer blickte ihm über die Schulter. »Das habe ich gesehen«, sagte er atemlos. »Ich konnte mir niemals einen Vers darauf machen. Ist es ein wichtiger Grundgedanke?«
»Ich weiß noch nicht genau. Mathematisch ist es herrlich, wunderschön! Schaut her, dieser Ausdruck – wie bis aufs äußerste verkürzt er dargestellt ist. Das hier unter der Wurzel – es sieht aus wie das Produkt zweier Differentialkoeffizienten, aber eigentlich steht es für eine ganze Folge solcher Koeffizienten.«
»Wie das?«
»Die Exponenten werden durch Permutation in einen entwickelten Ausdruck überführt, sonst könnte es unmöglich für ein lineares Integral stehen, wie der Autor behauptet. Es ist großartig. Und hier, schaut, dieser einfach aussehende Ausdruck. Die Einfachheit ist irreführend. Offensichtlich stellt er nicht eine Gleichung, sondern ein ganzes System von Gleichungen in sehr zusammengefaßter Form dar. Ich brauchte einige Tage, bis ich verstand, daß der Autor an Beziehungen ganzer Systeme zu anderen Systemen dachte, nicht nur an solche zwischen einer Größe und einer anderen. Ich kenne noch nicht alle physikalischen Größen, um die es da geht, aber die Überfeinerung des Mathematischen ist einfach – in einer unaufdringlichen Weise –, einfach vorzüglich. Selbst wenn es nur Spielerei wäre, dann doch eine höchst geistreiche Spielerei. Sollte es wirklich alt sein, dann haben wir unglaubliches Glück. Auf jeden Fall ist es großartig. Ich muß das möglichst älteste Exemplar dieser Handschrift sehen.«
Der Bruder Bibliothekar seufzte, als noch ein weiteres bleiversiegeltes Faß zum Offnen aus dem Lagerraum gerollt wurde. Armbruster war von der Tatsache nicht beeindruckt, daß der weltliche Gelehrte in zwei Tagen so etwas wie ein schwieriges Problem gelöst hatte, das zwölf Jahrhunderte lang völlig rätselhaft geblieben war.
Für den Konservator der Memorabilien bedeutete jedes Öffnen eine weitere Verminderung der wahrscheinlichen Lebensdauer des Inhalts der Fässer, und er versuchte gar nicht, seine Abneigung gegen die ganze Geschichte zu verbergen. Für den Bruder Bibliothekar, dessen Lebensaufgabe es war, Bücher zu erhalten, bestand der Hauptgrund für das Dasein von Büchern darin, sie für die Ewigkeit erhalten zu dürfen, Benutzung war zweitrangig, und zu verhüten, wenn sie die Langlebigkeit bedrohte.
Die Begeisterung Thon Taddeos für sein Unternehmen wurde von Tag zu Tag größer. Der Abt atmete unbeschwerter, als er bemerkte, wie die anfänglichen Zweifel des Thon mit jeder
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