Lobgesang auf Leibowitz
neuen Prüfung einer fragmentarischen wissenschaftlichen Schrift aus der Zeit vor der Flut wegschmolzen. Der Thon hatte sich nicht deutlich erklärt, in welchem Umfang seine Untersuchungen geführt werden sollten. Zu Anfang hatte er vielleicht wie absichtslos gearbeitet, aber jetzt ging er mit der flinken Bestimmtheit eines Mannes ans Werk, der einem Plan folgt.
Dom Paulo spürte, wie irgend etwas heraufdämmerte, und er beschloß, dem Hahn einen Hof zu bieten, dem er sein morgendliches Kikeriki entgegenkrähen konnte, sollte er den Drang verspüren, den bevorstehenden Tagesanbruch anzukündigen.
»Die Gemeinschaft verfolgt mit Neugier Eure Bemühungen«, sagte er zum Gelehrten, »und wir würden gern etwas darüber hören, wenn es Euch nichts ausmacht, darüber zu sprechen. Natürlich haben wir alle von Eurer theoretischen Arbeit an Eurer eigenen Hochschule gehört, aber für die meisten von uns ist das zu fachbezogen, um es zu verstehen. Wäre es Euch möglich, uns etwas darüber zu erzählen, in gewöhnlichen Ausdrücken, die Uneingeweihte begreifen können? Die Gemeinschaft hat mir Vorwürfe gemacht, daß ich Euch nicht um einen Vortrag ersuche, aber ich dachte, Ihr würdet es vorziehen, Euch erst einmal mit allem hier vertraut zu machen. Wenn Ihr natürlich lieber nicht – «
Der Blick des Thon schien Tastzirkel an den Kopf des Abtes anzusetzen und ihn sechsfach zu vermessen. Er lächelte voller Zweifel. »Ihr möchtet, daß ich unsere Arbeit in möglichst einfacher Sprache erkläre?«
»Ja, so etwa, wenn das möglich ist.«
»Da liegt der Hase im Pfeffer.« Er lachte. »Ein ungeschulter Mensch liest einen Aufsatz naturwissenschaftlicher Art und denkt sich: ›Also warum kann er das nicht auch in einfachen Worten erklären?‹ Es scheint ihm unmöglich, sich vorzustellen, daß das, was er versuchte zu lesen, schon die einfachstmöglichen Worte für diesen bestimmten Gegenstand waren. Tatsächlich ist ein Großteil der Physik einfach ein Prozeß sprachlicher Vereinfachung. Ein Bemühen, Sprachen zu erfinden, mit deren Hilfe eine halbe Seite von Gleichungen einen Gedankengang festhält, der in sogenannter einfacher Sprache auf weniger als tausend Seiten gar nicht dargestellt werden könnte. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«
»Ich glaube, schon. Da Ihr es versteht, Euch verständlich zu machen, warum sprecht Ihr dann nicht zum Beispiel über diesen Aspekt der Sache? Aber nur, wenn dieser Vorschlag nicht zu früh erfolgt, im Hinblick auf Eure Arbeit an den Memorabilien.«
»Nun, eigentlich nicht. Wir haben jetzt eine einigermaßen deutliche Vorstellung vom Ziel, auf das wir lossteuern, und auch von dem, womit wir uns hier abmühen müssen. Selbstverständlich wird das noch geraume Zeit in Anspruch nehmen, bevor wir zu einem Ende kommen. Die einzelnen Stücke müssen zusammengefügt werden, und die gehören nicht alle zum selben Mosaik. Wir können noch nicht vorhersagen, was wir alles herauslesen werden, aber wir wissen ziemlich genau, was nicht. Ich bin glücklich, sagen zu können, daß wir voll Hoffnung sind. Ich habe nichts dagegen, das in einem allgemeinen Rahmen zu erklären, aber – « Er wiederholte das Schulterzucken des Zweifelns.
»Was macht Euch Sorgen?«
Der Thon schien leicht verlegen. »Nur eine Ungewißheit über meine Zuhörer. Ich verletze nur sehr ungern religiöse Überzeugungen.«
»Wie könnt Ihr das befürchten? Es handelt sich doch um einen Gegenstand der Physik? Der Naturwissenschaften?«
»Natürlich. Aber das Weltbild vieler Leute wurde durch religiöse – nun, was ich sagen will…«
»Aber da Euer Gebiet die materielle Welt ist, wie könntet Ihr da überhaupt Anstoß erregen? Vor allem hier in dieser Gemeinschaft? Wir haben lange Zeit darauf gewartet, daß die Welt anfängt, sich wieder für sich selbst zu interessieren. Selbst auf die Gefahr hin, prahlerisch zu erscheinen, möchte ich darauf hinweisen, daß sich eben hier im Kloster ein paar ziemlich geschickte Liebhaber der Naturwissenschaften finden. Da haben wir Bruder Majek, und auch Bruder Kornhoer…«
»Kornhoer!« Der Thon blickte vorsichtig zur Bogenlampe empor und schaute blinzelnd wieder weg. »Ich begreife es nicht.«
»Was? Die Lampe? Ihr habt doch sicher – «
»Nein, nein. Nicht die Lampe. Die Lampe ist recht einfach zu begreifen, wenn man einmal den Schreck überwunden hat, zu sehen, daß sie tatsächlich funktioniert. Sie muß einfach funktionieren. Wenn man verschiedene unbestimmbare
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