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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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an. »Weshalb?«
    Ria lachte. »Weil er dich im Sinn hatte, als er diesen Ort erschuf.«
    Vlad zwang sich, keine Regung zu zeigen. Er verlangsamte seinen Schritt nicht, und obwohl Ria ihm den Rücken zuwandte, bemühte er sich um ein ausdrucksloses Gesicht. Mal Li Tams Worte ließen ihm keine Ruhe. Dein eigener Vater hat dich verraten. Vlad erinnerte sich an den dünnen, schwarzen Band, den anderen so ähnlich, die er an jenem Tag verbrannt hatte, als Rudolfo erschienen war und Antworten verlangt hatte. Der Rauch der Geheimnisse des Hauses Li Tam war schwer über ihrem Anwesen im Dschungel gehangen, dicht und erstickend. Der Rauch der Geschichte, die sie geschaffen hatten, indem sie Männer und Frauen verbogen, gebrochen und aufgebaut hatten, langsam und im Geheimen.
    Und es lagen weitere Geheimnisse in diesen Geheimnissen.
    Vlad Li Tam sagte nichts, während er einen in Sandalen gekleideten Fuß vor den anderen setzte. Weiter vorne sah er, dass der Gang in einem runden, aufwärtsführenden Treppenhaus endete, das sich nach oben hin verbreiterte, wo es vor einer großen Doppeltür im Schatten aufwendig geschnitzter Marmorsäulen endete. Er zögerte, und Ria blieb stehen.
    »Deine Kinder warten, Vlad.«
    Und noch während er ihre Worte verarbeitete, wusste er, dass er nicht freiwillig dorthin gehen wollte, wo sie ihn hinführte. Er fragte sich plötzlich, ob die Drohung, die sie schon einmal ausgesprochen hatte, auch jetzt noch Gültigkeit hatte: Ich kann dich tragen lassen , hatte sie gesagt. Er nahm an, dass dem so war.
    Vlad Li Tam zwang sich zum Weitergehen. Ria stieg die Stufen
empor, und er folgte ihr. Sobald sie oben waren, zog sie die Tür auf.
    Männer in Kutten – vier an der Zahl – glitten heraus und bezogen um ihn herum Stellung. Vlad spürte ihre Hände auf seinen Schultern, und er versuchte, seinen Körper nicht zu verkrampfen. »Was genau …«
    Vlad schloss den Mund. Er hatte Zeichnungen gesehen, und er hatte ausreichend genaue Beschreibungen vom Foltertrakt des Zigeunerkönigs gehört, um zu wissen, was Verbrecher und Feinde innerhalb seiner kreischenden Wände erwartete. Aber die Größe des Raumes war erschreckend. Er stand auf einer breiten, runden Terrasse, von der aus man auf die Schneidekammer darunter mit ihren Tischen und Rohren blickte. Statt mit luxuriösen Liegen und Sesseln war die Beobachtungsterrasse mit einfachen Holzstühlen und einer aufrecht stehenden Streckbank mit Riemen und Handschellen daran ausgestattet. Abgesehen von diesem spärlichen Mobiliar jedoch war der Raum geradezu ausufernd geschmückt. Kunstwerke, wie sie Vlad noch nie gesehen hatte, hingen dicht an dicht an den runden Wänden — verschiedenste Darstellungen der Schnitter bei ihrer Arbeit. Schwere violette Samtvorhänge betonten die dahinterliegenden hohen Fenster aus Buntglas. Geländer und Blutauffangschalen in dem Raum darunter waren aus Gold, und neben den Tischen lagen silberne Klingen unterschiedlichster Form und warteten auf die fähigen Hände, die sie führten.
    Die Männer in den Kutten zerrten Vlad zur Streckbank, und schließlich wehrte er sich doch. Er keilte mit einem Fuß aus und hörte einen Knöchel brechen. Der Mann ging mit einem Krachen zu Boden; Rias Stimme wurde laut und hallte durch die Kuppel:
    »Genug«, sagte sie. »Du vergisst das Wohlergehen deiner Kinder. «
    Vlad Li Tam knurrte, dann ließ er den Kopf hängen. Sie sind ohnehin tot. Nein , sagte er sich. Noch nicht. Und vielleicht gab es
noch einen Weg, sie zu retten. Er ließ sich von den drei übrigen Männern zur Streckbank geleiten und sich darauf festzurren.
    Ria lächelte auf ihn herab und pfiff leise. Ein Tisch mit Messern erschien. »Ich habe dir gesagt, dass ich deine Bundheilerin und Blutlöserin sein würde. Erinnerst du dich daran?«
    Er nickte, sagte aber nichts. »Ich werde dein Blut lösen, Vlad. Langsam und über einen langen Zeitraum hinweg. Und dadurch werde ich deine Sippschaft mit dem Haus Y’Zir heilen.«
    Vlad Li Tam blinzelte. »Haus Y’Zir?« Plötzlich war sein Verstand scharf wie eine Messerklinge, bereit, den ersten Schnitt zu führen. Y’Ziritische Resurgenten? Das Haus Y’Zir war vor Jahrtausenden gefallen, und dennoch waren von Zeit zu Zeit kleine Kulte aus dem Boden geschossen – Splittergruppen, die in den Hexenkönigen Götter sahen, ihren Tod betrauerten und sich nach ihrer Rückkehr sehnten. In früheren Tagen hatte das Haus Li Tam im Auftrag des Ordens seinen Teil dazu beigetragen, etliche davon

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