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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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klatschten auf die breiten Pflastersteine der Whymerischen Straße, und Renard warf den Kopf in den Nacken und lachte wild, während er lief.
    Dein Vater hat mir gesagt, dass du kommen würdest.
    Er würde später danach fragen. Für den Augenblick jedoch geschah etwas mit ihm. Etwas, das er nicht ergründen oder erklären konnte.
    Als Neb sich im Sattel nach vorne beugte, manifestierte sich
etwas in seiner Seele und dehnte sich aus. Es war, als hätten sie eine unsichtbare Grenze überquert, als wäre er erst jetzt an dem Ort angekommen, nach dem er sich seit seiner frühesten Kindheit gesehnt hatte. In der Luft lag der Geruch von verbrannten Gewürzen und uraltem Staub. Ein bitterer Geschmack breitete sich auf seiner Zunge aus, sobald er den Mund öffnete, und die Sonne, die wie eine goldene Scheibe in einem klaren und wolkenlosen Himmel hing, rief ihn dazu auf, ebenfalls zu lachen, sich der Wildheit und dem Wahnsinn hinzugeben und mit dem Wind an längst vergessene Orte zu laufen. Zu den Grabstätten des Lichts eines vergangenen Zeitalters.
    Dieser Ort wird mich verführen und verschlingen, wenn ich es zulasse .
    Und mit dieser Erkenntnis verbannte Neb das Lächeln von seinen Lippen und zwang seinen Verstand dazu, die Straße zu betrachten, die unter den flüsternden Hufen vorüberrauschte.
    Rudolfo
    Als sie der Biegung der Gasse folgten und sich der kleinen Hütte und dem Bootshaus daneben näherten, traf die Erinnerung an diesen Ort Rudolfo wie ein Faustschlag.
    Ich bin schon einmal hier gewesen.
    Seine Späher waren dem magifizierten Grauen Gardisten an diesen Ort gefolgt und hatten ihn während der Nacht aus der Deckung eines nahegelegenen Gebüschs heraus beobachtet. Am späten Morgen, nachdem er sich am besten Frühstück des Wirtes gestärkt hatte – pochierten Eiern und gegrilltem Lachs mit gewürzten Kartoffeln und süßem, schwarzem Bier –, waren Rudolfo und der Rest seiner Männer zu ihnen gestoßen. Zwei Vögel waren aus dem hinteren Fenster des Bootshauses aufgestiegen, in
der Hütte selbst war es ruhig geblieben. Fenster und Türen waren mit Brettern vernagelt, und aus dem Kamin stieg kein Rauch auf.
    War ihm damals bewusst gewesen, dass dies Petronus’ Heim war? Wahrscheinlich nicht, dachte Rudolfo, sonst hätte er sich bestimmt erinnert. Aber es waren düstere und wilde Zeiten gewesen, und es hatte Tage gegeben, an denen er sich, von Kummer und Zorn über den Verlust von Windwir und Gregorics Tod überwältigt, nicht einmal an seinen eigenen Namen erinnert hatte.
    Dennoch erinnerte er sich an diesen Ort. Er erinnerte sich an seine Männer, die vor der Tür gewartet hatten. Er erinnerte sich an den Gestank nach Fäkalien und Urin im Bootshaus und an den krächzenden Sethbert, der sich in der Ecke versteckt und verlangt hatte, Rudolfo zu sehen; der ihm angedroht hatte, ihn zu verletzen, obwohl er keine Klinge zur Hand gehabt hatte, mit der er es hätte tun können.
    »Ich werde Euch mit Worten verletzen«, hatte der verrückte Aufseher gekrächzt.
    Und er hatte die Wahrheit gesprochen. Jene Worte hatten Rudolfos Leben zu einem schwarzen, wütenden Fluss aufgepeitscht, denn durch sie hatte er von Vlad Li Tams Eingriffen in sein Leben und von der Rolle des Hauses Li Tam bei der Ermordung seiner Familie erfahren.
    Die Erinnerung an diesen Tag schmeckte wie Kupfer in seinem Mund, und er schluckte sie hinunter. Er blickte zu den Männern auf, die ihm zur Seite standen, und bedeutete ihnen, zu beobachten und abzuwarten. Sie verteilten sich, nahmen ihre Stellungen ein und verschmolzen mit dem Unterholz, um ihren Herrn zu schützen.
    Rudolfo ging zur Tür des Bootshauses und klopfte leise. »Rudolfo ist hier«, sagte er mit gesenkter Stimme. »Ich habe weder die Zeit noch die Langmut, weiter zu warten.« Er machte eine Pause und dann ein Angebot. »Ich habe einen Arzt unter meinen Spähern, und Ihr seid krank.«

    Erst regte sich gar nichts hinter dem schweren Holz. Dann hörte er schwaches Husten und leise, vorsichtige Bewegungen. Ein Schloss wurde entriegelt, und die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. »Ihr seid mir vergebens gefolgt«, sagte die Stimme schlicht. »Ich habe keine Botschaft für Euch, Zigeunerkönig.«
    Mühelos schob Rudolfo die Tür auf, und der Graue Gardist taumelte zurück. Der Geruch nach Siechtum und Vogelmist ließ Rudolfo würgen, als er in den Raum trat und hinter sich das Sonnenlicht hereinscheinen ließ. Der hagere Mann war kaum zu sehen, auch wenn die Magifizienten ihn

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